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New Adult – Bridging the Gap

6. November 2020
New Adult

Manchmal frage ich mich, wie alles begann und warum ich dieses Sub-Genre New Adult so liebe, das um 2013 von den USA als Genre-Phänomen nach Deutschland kam und erst die Bestsellerlisten und dann die Schreibvorlieben der deutschen Autor*innen erobert hat.

Vermutlich, weil ich glaube, dass hinter diesem Sub-Genre mehr steckt, als nur ein neues Bestsellerphänomen oder zumindest sehr viel mehr stecken könnte.

Wie ging es los?

Wie kam es überhaupt zu der Bezeichnung: New Adult? Ich habe dazu schon 2014 einen Beitrag auf der Red Bug Culture-Website geschrieben, denn New Adult fasziniert mich schon eine Weile:

Das Subgenre wurde 2009 von der St. Martins Press „erfunden“, um schon existierende Stoffe neu einzuordnen und besser herausstellen zu können. Die ersten Autor*innen waren Anglo-Amerikaner*innen.

Es hat sich anfänglich aus dem Genre der Contemporary Lovestory, zwischen Young Adult und Chic-Lit herausgebildet und die meisten Titel sind Liebesgeschichten. Wenn man so will, existiert das Genre ja auch schon, es wurde nicht erst erschaffen sondern nur von Young Adult und Erwachsenen Literatur abgegrenzt.

Wer das ganz ausführlich möchte, dem empfehle ich den Artikel von Emma Stewart über das Phänomen New Adult (in Englisch). Ich habe die PDF auf meinen Blog gelegt. Hier zum Download.

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich, als ich 2013 die Bücher von Abbi Glines und Jamie McGuire gelesen habe, zwiegespalten war. War das …  anders verpackte Erotik? War das Schund? Aber dann gab und gibt es excellent geschriebene New Adult-Bücher, die verdienen, Teil der Pop-Kultur zu werden. Mir fiel auf, dass die Bandbreite sehr groß war. Was sie alle verband: Es wurde offen über Sex geschrieben, wenn es um Begegnungen von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen ging. Kein fade to black. Und das fand ich erstmal wichtig. Die ersten New-Adult-Bücher wurden in Deutschland zwar für Erwachsene vermarktet (Stichwort Warengruppe), aber die Protagonist:innen waren jung, meist noch nicht volljährig (zumindest nach amerikanischen Recht). Also war das für mich Literatur für junge Erwachsene, für Jugendliche.

Mir gefiel auch die hohe Emotionalität der Geschichten, denn das Jugendbuch wird ansonsten hauptsächlich von “Themen” beherrscht. Kopf statt Bauch. Starke Gefühle zu zeigen, sie intensive zu beschreiben, hat man eher und besser den Romance-Autor:innen überlassen. Das zeitgenössische Jugendbuch – seit 2005 meine Schreibdomain – sollte sich lieber sachlich mit “Problemen Jugendlicher” auseinandersetzen (siehe die Regale in euer Bibliothek.)

Jugend und Körper

Es hat mich immer schon gestört, dass die Pubertät offenbar eine Zeit ist, die von vielen Erwachsenen gerne klein gemacht wird. Die Zeit, in der die Kinder komisch werden und peinlich und zu lächerlichen Puber-tieren werden und eine Menge Probleme haben, die man dann in Unterkategorien von Sucht, Sex, Stress, Depression aufteilen kann. Denn, hm, waren wir nicht alle mal selbst an diesem Ort?

Klar, hier passiert viel, mit dem Gehirn und dem Körper und das muss erstmal verkraftet werden. Besonders heftig ist es für Mädchen. Jungs bekommen Muskeln und Bartwuchs und damit Zeichen von Power, Mädchen weiche Brüste und Rundungen, die sie verletzlicher und angreifbarer machen. In dieser Zeit beginnt die Phase der große Verunsicherung: Bin ich schön genug? Zu dick, zu dünn und so weiter.

Das sind wichtige Themen im Jugendbuchbereich, doch leider werden sie meist erst dann aufgegriffen, wenn es schon “zu spät” ist. Wenn es ein Problem geworden ist wie Magersucht oder Depression. Auch SickLit genannt. Denn Krankheit erlaubt einem Mädchen (fast immer sind kranke Mädchen die Protagonist:innen) ihre letzten Wünsche zu äußern und endlich zu sagen, was sie wirklich will. Aber warum muss man erst krank werden, um zu wissen, was man will? Ist das die message? Und kann New Adult hier etwas ändern?

New Adult – was und für wen?

Wie war das denn am Anfang? Wie ging es auf dem deutschen Buchmarkt los mit New Adult? Am Anfang – ich spreche hier von 2013/14 – gab es die eher erotischen New-Adult-Bücher, die damals noch nicht als New Adult vermarktet wurden und die bei z.B. Piper auch gerne in der Erotik-Abteilung erschienen. Junge Protagonist:innen zwischen 20 und 25, das Mädchen fast immer noch Jungfrau, der Mann dagegen erfahren und Typ Badboy.

Aber es gab ja auch schon “Twilight”, ein Jugendbuch, das die Tür zu mehr Emotionalität aufgestossen hatte. Allerdings extrem prüde mit Sex umging. Das hat dann Frau James mit Shades of Grey (ehemals Fanfiction zu Twilight) geändert und Licht ins Dunkel gebracht. Seeehr viel Licht. Irgendwie schien Zu-wenig- zu-viel ein Thema zu sein. Und auch die Frage, wo sich die richtige Zielgruppe für diese Bücher befand oder befindet, war unklar. Während Twilight Autorin Stephenie Meyer der Meinung war, sie schriebe ein Erwachsenenbuch (und ihre Agentin sie dann sanft überzeugt hat, dass das doch eher in die Jugendabteilung gehört), hat Frau James mit einem kindischen Schreibstil den Erwachsenenmarkt erobert. Was war da los? Oder was ist da los, denn immer mehr Erwachsene lesen gerne Jugendliteratur und New Adult. Und viele sagen: Es muss gar nicht anspruchsvoll sein. Ich will meinen Kopf ausschalten.

Und die Jugendlichen? Ich kenne keine Jugendlichen, die ihren Kopf ausschalten wollen, ganz im Gegenteil. Sie wollte allerdings auch nicht immer nur im Kopf sein. Besonders dann nicht, wenn sie in die Pubertät kommen. Natürlich wird Sex ein Thema und zwar ein Großes. Und irgendwie kann uns allen weder Stephenie Meyer noch Frau James und Shades of Grey wirklich weiterhelfen, wenn es um die Frage nach gutem Sex geht.

Es ist interessant, dass New Adult immer noch zwischen den Bereichen oder Warengruppen Jugendbuch und Erwachsenenbuch hin- und herwabert.

Sex sells … und mehr

Wir leben in einer Zeit, in der immer offener mit Fragen zu Sex umgegangen wird. Das ist gut, aber nicht alles ist so, wie man es als unerfahrene Sexanfängerin braucht. Alles wird aufgedeckt und untersucht, Vaginen prangen auf Buchcovern. Super! Aufklärung!, möchte ich gerne rufen und finde ich sehr positiv, weiß aber gleichzeitig, dass mich das als Teenagerin ungefähr so abgetörnt hätte, wie die Vorstellung vom Sex meiner Eltern. Ich will es schon wissen, aber bitte nicht wie im Sexualkundeunterricht vorgehalten bekommen.

Das Thema Sex in Büchern – und ich meine guten Sex, also “Liebe machen”, beschäftigt mich seit ich als pubertierende Leserin einfach keine Bücher finden konnte, die mir liebevoll und emotional, aber gleichzeitig realistisch und sachlich sagen konnten, wie das geht mit diesen beiden Körpern. Ich war mir nicht sicher, ob ich Frauen oder Männer liebte, so sehr hat mich das alles verwirrt. Und nirgendwo gab es Antworten. Als ich – eher aus Zufall – Jugendbuchautorin wurde, wollte ich das ganz bestimmt ändern. Eine Sexszene zu schreiben ist sicher nicht dass, was man sich wünscht, wenn man morgens aufsteht, übermüdet die Kinder zur Schule fährt oder den Abwasch macht. Oh, und nachher noch die Sexszene schreiben. Ich lernte, dass auch das eine Kunst ist, über die sich übrigens schon einige Autor*innen den Kopf zerbrochen haben. Zum Beispiel Diana Gabaldon.

Als dann mein erstes Jugendbuch (Radio Gaga) 2005 herauskam, gab es Kritik für eine explizite Sexszene von Lehrerinnen, aber Schüler:innen forderten auf Lesungen immer genau diese Szene ein. Was lief da schräg? Ich fand es wichtig, eine gute Sexszene zu schreiben, damit nicht immer mehr schlechter Sex “ausprobiert” wird, an dem dann am Ende wohl eher die Mädchen leiden würden. Aber warum hatten einige Erwachsene so viele Probleme damit?

Nun, New Adult enthält Sexszenen. Selbst, wenn viele New-Adult-Bücher heute nicht in der Erotikabteilung stehen, scheint eine Sexszene dazu zu gehören und findet sich dann meist als Höhepunkt in der Mitte und/oder am Ende des Buches. Klar, wenn es in der Geschichte stark um Sex geht, dann hat der auch eine dramaturgische Funktion.

Heißt: Das Zusammenkommen der Partner – auch körperlich –  ist dann tatsächlich ein Höhepunkt/Klimax im Buch und das würde ich auch so schreiben. Anmerkung: Wenn ich lese, dass ein sex-unerfahrenes Mädchen einem Jungen beim ersten Sex den Rücken aufkratzt, dann muss ich das Buch sehr weit wegwerfen und einfach mal hoffen, dass niemand glaubt, was da steht. 

Dass Sex in Büchern nicht immer so wie im Leben sein muss, ist natürlich klar. Trotzdem ist es vermutlich sowohl für Mädchen/Frauen als auch Jungs/Männer frustrierend, sich mit diesen Sexgöttern zu messen, die immer Lust haben, ständig feucht und hart sind und auch keine Problem damit haben, jemanden sofort und am besten ganz eng heranzulassen. Und wenn es dann mal etwas ruppiger zugeht – so sind sie halt, die Badboy. Eyyyy – nein!

(Zum Thema: Inhalte und besonders zu Sex in New-Adult-Büchern hier mehr oder hier, oder hier, denn in den USA wird darüber schon länger diskutiert.)

Feminismus und New Adult

Es tut sich was in Richtung Feminismus. Auch sehr schön. Die dritte Welle der Frauenbewegung lebt. Allerdings ist auch sie nicht unbedingt in vielen New-Adult-Büchern zu finden, was ich extrem frustrierend finde. Ganz klar verkaufen sich zurzeit (nicht nur) die NA-Bücher besser, die ein konservatives Männer- und Frauenbild zeigen. Heterosexuell, versteht sich. Bücher, die sich mit anderen Lebensweisen und Vorlieben, gleichgeschlechtliche Liebe oder oder beschäftigen, landen in Nischen. Argumente der Verleger*innen und Selfpublisher:innen: Die Frau/Leserin – will es ja so, also warum etwas anderes schreiben?

Viel New Adult orientiert sich eher an den konservativen Leser:innen, die kleine Abweichung im üblichen Beuteschema – Jagd, Fang, Sex, Hochzeit – sofort registrieren und mit verhaltenen Käufen abstrafen. Hier muss natürlich auch jede Autor:in eine Entscheidung treffen, ob ihr der Inhalt oder das Auskommen wichtiger ist. Und welche Leser:innen sie ansprechen möchte.

Eine Autorin erzählt (in einem Podcast), sie hätte ihre ersten New Adult-Bücher (unter Pseudonym) nur aus Gag geschrieben und dafür einfach mal alle Klischees zusammen gepackt.  Ha, ha. Outch! Denn – wenn ich mich recht erinnere, waren es genau diese NA-Bücher der Autorin, die schließlich so gut liefen, dass ihr danach ein Verlag die Möglichkeit für “andere” Bücher gegeben hat. Ein erfolgreiches Format wie New Adult mit Klischees zu überfrachten und für den Einstieg in den kommerziellen Buchmarkt zu nutzen, ist ein schlauer move, aber er verbessert nicht den Ruf dieses Genres und das ist schade.

Sind wir Jugendbuchautor:innen gezwungen, uns früher oder später von New Adult zu distanzieren? Ist es dann doch so schmuddelig, das man besser nur unter Pseudonym schreibt und später am besten alles aus dem Verlauf löscht? Ich denke nicht. New Adult braucht nicht noch mehr Trittbrettfahrer mit Klischeestories oder Autor*innen, die es nur benutzen, um danach – endlich – etwas Richtiges zu schreiben. New Adult braucht mehr Autor:innen, die aus dem mittlerweile stark strapazierten Klischees ausbrechen.

Nebenbei bemerkt: Leser:innen sind unsere Fans/Follower/Käufer:innen/Kunden. Wir sollten sie achten und ernst nehmen. Ich glaube auch, dass wir als zeitgenössische Jugendbuch-Autor:innen, (egal ob im Young oder New Adult-Bereich), eine Verantwortung den Leser:innen gegenüber hat. Oder vielleicht sogar als Autor:in überhaupt, aber das ist eine andere Diskussion.

Frauen-Literatur

Das Thema Frauen-Literatur und Frauen in der Literatur (von Männern) beschäftigt mich schon lange, sogar länger, als das Thema Frauen in der Kunst und ihre Darstellung. Ich plane eine Blogreihe über die Rezeption von “Frauenliteratur” aka Romance//New Adult, die mich in Euphorie versetzt, seit ich immer mehr Autorinnen finde, die das Thema ähnlich leidenschaftlich beschäftigt. Denn die Herabsetzung des Liebesroman-Genres hat Geschichte und tiefe Wurzeln, die bis in die Konstruktion von Geschichten gehen. Stichwort Hero’s Journey. Aber dazu in späteren Blogbeiträgen mehr.

Denn leider ist es bis heute richtig, dass, wer nicht nur materiellen Erfolg haben, sondern auch Preise und Anerkennung im Literaturbereich bekommen möchte, schneller und besser mit “anspruchsvollen Themen” ans Ziel kommt. So steigt man hoch auf der (männerdominierten) Erfolgsleiter und das andere ist … Frauenkram. Kinderkram. Pubertär. Bücher, die bestimmte Literaturkritiker lustvoll in die Tonne treten oder rollen lassen. “Sogar”, wenn sie von Männern geschrieben werden.

Ein neues New Adult

Es gibt sie wohl immer noch, die Lücke im Buchmarkt, zwischen Jugendbuch und Erwachsenen-Literatur. Bücher für Menschen, die merken, dass Erwachsenwerden mehr bedeutet, als sich körperlich zu transformieren und Sex, einen Job, ein Auto, ein Haus, eine Partner:in zu haben.

Junge Erwachsene, deren Träume über eine materielle Erfüllung hinausgehen. Die nach Orientierung suchen, auf allen Gebieten und denen mit Klischees nicht geholfen ist.

Meine Hoffnung ist, dass ein progressives New Adult sie schließen kann. Warum? Weil es tatsächlich zu viele junge Menschen gibt, die vom Erwachsenwerden überfordert sind und unter Depressionen, Magersucht, Sucht etc, leiden. Wir sollten sie alle ernst nehmen, die Quarterlife Crises, und ich gehe davon aus, dass wir sie alle in der ein oder anderen Form erlebt haben.

Die so genannte Quarterlife Crisis (QLC) bezeichnet einen Zustand der Unsicherheit im Lebensabschnitt nach dem „Erwachsenwerden“, der in etwa im Alter zwischen 21 und 29 auftritt, der Endphase des ersten Lebensviertels. Der Begriff wurde in den USA 1997 in Analogie zur Midlife Crisis gebildet. (Quelle)

Bücher sind nicht immer die beste Lösung für dein Leben. Richtig. Musik, Freunde, Familie, Sport, Kunst und Kreativität sind andere oder weitere Wege. Vielleicht sogar bessere. Aber als Autorin glaube ich an die Kraft der Literatur.

Let’s dream.

xoxo

Katrin

33 Frauen

33 Frauen – #3 Anaïs Nin

3. August 2020
Anaïs Nin

33 Frauen, die mich sehr inspiriert haben (Projekt #33frauen) und eine davon ist Anaïs Nin. Anaïs Nin oder genauer: Angela Anaïs Juana Antolina Rosa Edelmira Nin y Culmell. Nin war Schriftstellerin und noch so viel mehr. 1903 geboren, war sie in den 20er Jahren in ihren Zwanzigern und hat für mich all das verkörpert, was man mit den Roaring Twenties (den Goldenen Zwanzigern) verbindet. Eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs, eine Blütezeit der Kunst, Wissenschaft und Kultur. Eine Zeit, die 1929 in eine Weltwirtschaftskrise lief, die mit dem Börsencrash in New York begann und in vielen europäischen Ländern bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 anhielt.

Anaïs Nin

Die Goldenen Zwanziger – eine Art Zwischenzeit. Zwischen zwei Weltkriegen, ein Aufatmen nach dem ersten Weltkrieg (1914-19) oder vielleicht doch eher ein kurzes Aufbäumen vor dem Zweiten Weltkrieg. Wie Bäume vor dem Absterben noch einmal ganz stark ausschlagen und blühen. Frech, überbordend, frei, verrückt.

Eine Zeit, in der meine etwa gleichaltrigen Omas heirateten und ihre Kinder (meine Eltern) bekamen. No judgment. Anaïs Nin hatte nie Kinder, erkrankte 1974 an Gebärmutterhalskrebs und starb 1977 daran. Ich erwähne das hier, weil ihre Weiblichkeit und Sexualität ihr ganzes Leben bestimmt haben, sie überbordend und ausschweifend war und diese Krankheit – passte. Ohne Wertung und schon gar nicht als Bestrafung zu sehen, aber ein letzter Fanfarenstoß. Sterben an etwas, an dem nur eine Frau sterben kann. Dah!

Die Tagebücher

Ich habe Anaïs Nin in meinen Zwanzigern kennengelernt. Und zwar durch ihr bekanntestes Werk, ihre “Tagebücher”. Und war fasziniert. Das war eine neue Form von Tagebuch, roh, echt, ehrlich und gleichzeitig vollständig künstlich-künstlerisch. Nin schreibt über ihre Gefühle, Gedanken, aber achtet auf eine gute Form, verwandelt und präzisiert. Man kann ihr beim Schreiben, beim Finden der Gedanken zusehen, mein kann lernen wie Schreiben, wie Leben geht.

Ich hatte mit neun Jahren auf Vorschlag meines Vaters selbst angefangen, Tagebuch zu schreiben. Das wird später sehr wichtig für dich sein, sagte er. Oder so ähnlich. Natürlich wollte ich alles machen, was später und auch sofort für mich wichtig sein könnte, also schrieb ich. Tagebuch schreiben wurde zu einem wichtigen Teil meines Lebens.

Mit sechzehn vernichtete ich alles kindlichen Tagebücher, die eigentlich nur voller Listen waren. Zur Schule gegangen//Hamsterkäfig sauber gemacht//gespielt. Heute würde mich rasend interessieren, wie mein Alltag mit neun ausgesehen hat, damals fand ich es beschämend langweilig und banal.

Tägliches Schreiben

Ja, was sind Tagebücher überhaupt? Das kennt man ja, dass man immer zum Tagebuch greift, wenn man frustriert ist oder Liebeskummer hat. Es ersetzt die fehlende Gesprächspartner*in. Nicht so bei Anaïs Nin. Ihre Tagebücher sind sorgfältig verarbeitete Erinnerungen, die sich aber anfühlten wie aus dem Moment verfasst. Aus der Stimmung heraus geschrieben. Da ahnte man das Leben. Voller Musik, Kunst, Literatur. Intellektuellen Gesprächen und Gedanken. Aber auch ungeschönt, hart, wild. Man macht Fehler, man verliert die Dramaturgie, man baut Mist, man rappelt sich wieder auf.

Anaïs Nin

Mitte Zwanzig interessierte mich Literatur//Kunst und ich war mir ganz sicher, gute, interessante Kunst kann nur machen, wer Lebenserfahrungen hat. All das, was ich nicht hatte, aber unbedingt haben wollte. Mich interessierte das Leben. Mich interessierte, was das Leben mit einem macht.

Künstlerin sein, heißt das Leben aufsaugen, sich schmutzig zu machen, eintauchen in alles Fleischliche und Theoretische. Alles ansehen, alles verarbeiten, und dann auf Papier oder die Leinwand bringen. All das fand ich bei Anaïs Nin.

Kindheit

Anaïs Nina Leben ist vollgepackt mit Erfahrungen, mit Schicksalsschlägen, mit Kunst und Schreiben, mit Liebe und Sex. Die Eltern Künstler, der Vater Pianist, die Mutter Sängerin, trennten sich als Nin zwei war. Sie wuchs in New York auf, verließ die römisch-katholische Kirche und die Schule mit sechzehn und verdiente sich ihr Geld als Künstlermodell. Mutig, trotzig, und offenbar ohne den Filter: Geht das? Darf man das?

Was später herauskam, als alle Tagebücher hervorgeholt wurden: Mit neun – so sagt Nin in ihrem Tagebuchband Inzest  – vom Vater missbraucht. Dass aufschreiben zu können – ist unglaublich. Ebenso schwierig zu verstehen, was es mit ihr gemacht hat.

Doch von ihrer Kindheit, den frühen Tagebüchern, wusste ich damals nichts. Die Tagebücher, die ich las, waren die bei DTV erschienen Taschenbücher, stark redigiert und zensiert. Das hieß, dass etliche Personen nicht genannt wurden wie zum Beispiel ihr Ehemann, ein Bankier, den Nin mit zwanzig heiratete. Erst 1992 erschienen die unzensierten Tagebücher, doch da war ich an einem anderen Punkt in meinem Leben.

Mit war klar, dass die Tagebücher zensiert waren, und auch ohne Wikipedia war es bekannt, dass ihr Mann nicht genannt werden wollte. Beim Lesen hatte ich oft den Eindruck, dass er die Position eines Vaters einnimmt. Abwesend, doch ein Versorger und Beschützer im Hintergrund, den Nin offensichtlich betrog und hinterging und belog, den sie aber ohne Probleme als Sicherheitsnetz nutzen konnte.

Dieser Widerspruch – totale Offenheit und gleichzeitig ein seltsames Verhältnis zur Wahrheit – hat mich fasziniert und beschäftigt. Was mir klar wurde: Ein Tagebuch braucht die Wahrheit – die Kunst/Literatur nicht.

“I tell so many lies I have to write them down and keep them in the lie box so I can keep them straight.” (National Public Radio (NPR). July 29, 2006. Retrieved February 16, 2011.)

Schreiben und Psychologie

Nach der Schule wollte ich Psychologie studieren, doch rückblickend wollte ich gar nicht die Theorie, ich wollte die Praxis. Ich wollte ein Leben, so bunt und grausam wie das von Anaïs Nin. Doch das Interesse an der Psychologie oder vielleicht genauer gesagt an Menschen, blieb und das fand ich auch in Nins Tagebüchern. Nin studierte Psychologie, intensiv und auf ihre eigene Weise. Sie ging in Psychotherapie, ließe sich erst 1932 von René Allendy “behandeln”, später von Otto Rank. Nach eigenen Aussagen wurden beide ihre Liebhaber.

Anais Nin und George Leite im Daliel’s Bookstore, Berkeley, 1946

Ich habe etwa zehn Menschen in meinem Leben getroffen, die sich einer Psychotherapie oder Analyse unterzogen haben und drei davon sind eine kurze oder auch sehr tiefe und lange sexuelle Beziehung zu ihren Therapeuten eingegangen, also denke ich, es ist naheliegend und nicht nur typisch für Anaïs Nin, deren Interesse an Menschen sich sehr oft in eine Liebesbeziehung verwandelte. Mir zeigte es vor allem, dass Pysche und Körper sehr eng miteinander verwoben sind und sich eben nicht alles über den Kopf klären kann. (Wovon ich bis zu meiner Pubertät eigentlich ausging.)

Ich selbst habe mich bei meiner ersten Psychotherapie (mit +-27) allerdings mit Vorbedacht für eine sehr viel ältere und weibliche Therapeutin entschieden.

Kunst und Psychologie

Die Psychologie und besonders Rank halfen Nin nach eigenen Aussagen besonders in ihrer künstlerischen Entwicklung und ihrem Schreibprozess.

“As he talked, I thought of my difficulties with writing, my struggles to articulate feelings not easily expressed. Of my struggles to find a language for intuition, feeling, instincts which are, in themselves, elusive, subtle, and wordless.” Nin, Anaïs (1966). The Diary of Anaïs Nin (1931-1934). 1. Harcourt, Brace & World. S. 279)

Bei Kriegsbeginn verließ Nin Frankreich und ging nach New York, wo Otto Rank auch gerade angekommen war und zog zu ihm in sein Appartement. Dort arbeitete sie selbst als Psychologin. Und genauso selbstverständlich, wie sie Sex mit Rank hatte, wurden ihre Patienten ihre Liebhaber. Sex als Mittel zur Selbstfindung? Oder Machtausübung? Oder einfach Schwäche? Aber auf jeden Fall als wichtiger Bestandteil des künstlerischen Lebens.

Nach einigen Monaten gab sie ihren selbsterfunden Job aber wieder auf:

 “I found that I wasn’t good because I wasn’t objective. I was haunted by my patients. – I wanted to intercede.” (The New York Times. Retrieved September 1, 2017)

Mich beeindruckte, dass und wie Nin sich alles nahm, was sie brauchte. Ohne zu fragen, ob das okay war, gerecht, anständig. Ohne auf etwas anders zu achten, als sich selbst. Da war ich zwar anderer Meinung oder auch anders erzogen, aber die Faszination blieb und die Erkenntnis: Ohne einen gewissen Egoismus wird man keine gute Künstlerin.

Anaïs Nin und Henry Miller

Ich bin nicht nur ein Anaïs Nin, sondern auch ein Henry Miller Fan, dessen Bücher ich zum gleichen Zeitpunkt gelesen habe. Vielleicht bin ich auf Henry Miller auch nur über Nin gestossen, was ich jetzt nicht mehr so genau nachvollziehen kann.

Anaïs Nin und Henry Miller

Als Anaïs Nin 1931 auf Miller traf, war sie eine  achtundzwanzigjährige verheiratete Frau und Miller – ebenfalls verheiratet – stand kurz vor seinem vierzigsten Geburtstag. Er war in zweiter Ehe mit June verheiratet, mit der er eine leidenschaftliche und selbstzerstörerische Ehe führte. Heute würde man die Beziehung vermutlich toxisch nennen.

Nin und Miller glichen sich in der Art, ihren Lebenshunger auf eine gnadenlose, rücksichtslose und kompromisslose Art auszuleben. Beide hatten viel Sex und konnten sehr gut darüber schreiben. Ich spürte, es kam alles aus dem Unterleib, es war nicht verkopft, obwohl beide sehr intelligent waren und viel miteinander diskutiert haben. Überhaupt – guter Sex und Intelligenz sind keine Gegensätze.

Sex und Schreiben

Nin is hailed by many critics as one of the finest writers of female erotica. She was one of the first women known to explore fully the realm of erotic writing, and certainly the first prominent woman in the modern West known to write erotica. Before her, erotica acknowledged to be written by women was rare, with a few notable exceptions, such as the work of Kate Chopin. (Quelle)

Ich habe Nins erotische Bücher “Deltas der Venus” etc nie gelesen. Nach eigener Aussage( in ihren Tagebüchern) waren es Texte, die sie gleich nach ihrer Ankunft in Amerika für reiche Auftraggeber schrieb, um Geld zu verdienen. Mein Interesse daran ist gleich null. Genauso, wie Sex mit Menschen, die dafür bezahlen etwas anders ist, als Sex mit einem geliebten oder zumindest anziehenden Menschen, sind Auftragstexte  – immer etwas leblos.

Nin hatte ein Verhältnis mit Miller, aber auch eines mit seiner Frau June. Anziehung ist unabhängig vom Geschlecht und die große Liebe reißt alles mit sich. Was Nin über ihre Beziehung zu Miller schrieb, konnte ich sehr gut nachvollziehen. In diesem Fall waren Liebe und Leidenschaft zusätzlich mit einer großen Passion für die Kunst verbunden, dem Schreiben. Ich konnte oder wollte hier auch nie eine Trennung haben. Wen ich liebe, der musste auch die Kunst mit mir teilen. Dass diese doppelte Leidenschaft Opfer kosten würde, wurde mir erst später klar.

You carry your vision, and I mine, and they have mingled. If at moments I see the world as you see it, you will sometimes see it as I do.” (Anais Nin to Henry Miller. A Literate Passion: Letters of Anaïs Nin and Henry Miller, 1932-1953)

Nin vermutet, dass sie 1934 von Miller schwanger wurde, das Kind trieb sie ab.

Leidenschaftliches Schreiben

Anaïs Nin

Ich habe schon vor der Schule lesen gelernt und habe früh angefangen, eigene Texte zu schreiben, Versuche. Schreiben hat für mich bis heute mehr mit Emotionen zu tun als mit Verstand. Das heißt nicht, dass diese Texte unintelligent, schwülstig, kitschig oder hochemotional sein müssen.

Es geht darum, die gespürten Emotionen herauszulassen, sie im ersten Entwurf roh und wild stehenzulassen und später mit dem Intellekt zu prüfen, ob das Geschriebene stimmig ist. Das war nichts, was man in der Schule beigebracht bekam. Sich für das Schreiben in sich  selbst hineinzustürzen, war nur im Tagebuch “erlaubt” und damit auch gleich schon entwertet und wurde auch gerne als “weiblich” bezeichnet.

Von Anïs Nin habe ich gelernt, das Intellekt und Emotion eine sehr enge Verbindung brauchen, damit gute, interessante, künstlerische Texte//Kunst entstehen können. Und, dass wer nichts erlebt hat, auch nichts Relevantes zu schreiben hat.

Heute ist mein Blick auf ihr Leben anders, aber der Respekt ist geblieben. Ihr scharfer Verstand und ihre Unerbittlichkeit beim Schreiben beeindrucken mich bis heute, auch wenn ich sie nicht mehr um ihr Leben beneide. Von ihr konnte ich auch lernen: Es geht viel, aber nicht alles. Wenn ich an Anaïs Nin denke, dann denke ich #hungrig.

Podcast

Es gibt eine Podcastreihe zu den 33Frauen auf dem Literatur Radio Hörbahn. Jeder Blogbeitrag wird um einen Podcast ergänzt.

https://literaturradiohoerbahn.com/33-frauen-anais-nin-portrait-von-katrin-bongard/

#Making Of

Making Of – Lass uns fliegen

18. April 2016
Lass uns fliegen

Lass und fliegen - Oetinger Lass uns fliegen Red Bug BooksEs ist das erste Mal, dass ein Buch von mir unter einem Titel – “Lass uns fliegen” – aber in zwei verschiedenen inhaltlichen Versionen vorliegt. Die Printversion ist im Oetinger Verlag erschienen, das E-Book unter meinem eigenen Label Red Bug Books.

Der Text ist gleich, aber es gibt einen anderen Unterschied, den ich mal //künstlerische Freiheit// nenne. Das Buch habe ich während eines Literaturstipendiums auf Schloss Wiepersdorf geschrieben und dort viele Künstler getroffen. Also auch Maler. Der Geruch von Ölfarbe, die Präsentationen, die Zeichnungen – nie habe ich das Malen und Zeichnen  so sehr vermisst wie dort. Wiep_zim1

Schreiben und zeichnen

Also habe ich neben meiner kleinen Schreibkammer, die ich mir schon mit Blumen und Sessel aufgehübscht hatte, wo mir aber trotzdem langsam die Decke auf den Kopf fiel, auch den Schreibsaal zum Arbeiten genutzt. Es gab einen großen Schreibtisch und Licht und Raum und Luft und, ohne es recht zu merken, habe ich wieder angefangen zu zeichnen. Immer dann, wenn ich eine Schreibblockade hatte, was leicht passiert bei: HIER-STIPENDIUM-SCHREIB!

Das Zeichnen hat mir geholfen, mich wieder freizuspielen. Die Themen und Gedanken, die im Buch eine Rolle spielen, nicht zu trübsinnig werden zu lassen oder zu  leichtfertig, humorig umzusetzen, um auch zu unterhalten. Also die Balance.Wiep_zeich

Überarbeiten

Wer schreibt weiß, dass das Überarbeiten dabei einen großen Raum einnimmt. Immer wieder muss man über den Text gehen, verändern, klarer machen. Beim Zeichnen ist es etwas anders, man fängt immer wieder neu an, es sind alles Entwürfe. Sie stapelten sich irgendwann auf meinem Schreibtisch. Sollten gut aussehen, passend, verletzlich, sie sollten einfach sein, ohne simpel zu wirken.

“Grab” – war so ein Thema, was mich lange beschäftigt hat. Wiep Zeich_3
Oder meine umgestürzten Kaffeetassen. ToGo-Becher. Ballettschuhe, die immer wie Insekten aussahen.
Nach und nach, im Prozess, verstand ich durch meine Zeichnungen mehr über den Inhalt des Textes. Umgestürzte Flaschen, die mir auf einmal klar machten, dass ein Trinker in der Familie die ganze Gruppe umstürzen kann.

Natürlich wusste ich das – irgendwie – auch vorher, aber erst nachdem ich mich mit meinen Zeichnungen auseinandersetze, wurde mir klar, was es bedeutet – familienaufstellungstechnisch. Oder, dass Tanzen sehr viel mit Stehen zu tun hat. Aufrecht. Selbstbewusst. Und ich kam über das Zeichnen ins Gespräch mit einer Malerin, die mir von ihren eigenen Erfahrungen mit ihrem Ex-Mann erzählt hat, einem schweren Trinker. Es machte auf einmal sehr wohl Sinn, dass ich an diesem Ort war, um zu schreiben.

Lass uns fliegen

Alles wurde etwas leichter. Der Text, die Dialoge. Es ging schließlich um verschiedene Süchte, nicht nur das Trinken, auch das Tanzen, das Lesen ;) Auch um Kunst, das Schreiben, das glückliche Leben überhaupt und ja, auch die Liebe. Wiep_Zeich_4Mir fiel auf, dass ganz oft zwei Tassen, Becher, Skateboards auf meinen Zeichnungen waren. Und sie etwas miteinander zu tun hatten. Hin oder abgewandt waren. Geöffnet oder verschlossen. Das gefiel mir sehr. Ab da wollte ich Zeichnungen im Buch haben. 12 Kapitel, 12 Zeichnungen.

Im E-Book sind sie groß und schön. Der Oetinger Verlag hat leider das Konzept nicht verstanden und sie im Printbuch in lupengroße Vignetten verwandelt. Schade. Daher wollte ich euch Lesern, die ihr ein Printbuch in den Händen haltet, nur sagen: Das war (von mir) anders gedacht. Die Zeichnungen gehören dazu. Kunst und Schreiben gehören bei mir zusammen!

 

#Schreiben

Arbeitsstipendium auf Schloss Wiepersdorf

1. April 2015
Schloss Wiepersdorf

Vor ein paar Monaten war abzusehen, dass enorm viel Schreibzeit auf mich zukommen würde und ich mindestens drei Monate ausschließlich Zeit dafür brauchen werde. Ich sah Berghütten vor mir, Hotelzimmer, abgelegene Dörfer. Ich spielte mit dem Gedanken, mich in Gülpe einzuquartieren (dunkelster und auch ruhigster Ort von Deutschland), oder einfach nur gegenüber in das Bed & Breakfast zu ziehen und so zu tun, als wäre ich weg. “Katrin? Keine Ahnung, die ist ins Ausland gefahren und kommt erst in drei Monaten wieder.” Irgendwann in dieser Zeit muss ich mich dann wohl auf dieses Arbeitsstipendium auf Schloss Wiepersdorf beworben haben.

Arbeitsstipendium

Als ich den Anruf bekam, dass ich mich für drei Monate auf Schloss Wiepersdorf zurückziehen kann, hatte ich die Sache schon fast wieder vergessen. Tja und nun bin ich hier. Seit März. Mitten in der gewünschten Einöde, ganz royal in einem Schloss. Trotz offiziellem Frühlingsanfang liegt der Garten noch im Winterschlaf, sind alle Skulpturen winterlich in grünen Holzkästen versteckt, genauso wie die Pflanzen in der Orangerie. Trotzdem stellt sich schon ein erhabenes Gefühl ein, wenn man durch den Schlossgarten wandelt oder sich im Schloss in goldumrahmten Spiegeln betrachtet.

Stop. Moment mal. Was passiert gerade? Nimmt meine Sprache auch schon einen Goldüberzug an, ziert sich, beschreibt manieriert, verlustiert, galant, pittoresk, grotesk. Fuck it. Nope. I have some hard stuff to write. Ich muss mich einleben. Ein Mitstipendiat leiht mir ein Buch über Wiepersdorf. Darin finde ich einen Brief von Bettina von Arnim, die hier gewohnt hat und, tja, begraben ist. Lese: “Das Schreiben vergeht einem hier, wo den ganzen Tag, das ganze liebe lange Leben nichts vorfällt, weswegen man ein Bein oder einen Arm aufheben möchte. Ich kenne keine Geschäft, was den Kopf mehr angreift als gar nichts tun und nichts erfahren …” Okay. Wait a minute. Könnte es sein, dass die Sache nach hinten losgeht? Ich hier noch viel weniger mein Schreiben auf die Reihe kriege?

Bettinas Rat

Ich rufe Bettinas Geist heran, ich spüre so etwas wie eine Wahlverandtschaft. Ich verstehe sie. Denn, wenn ich ehrlich bin, dan h**** ich das Landleben, ich brauche die Stadt. Wir verabreden uns am Ententeich. (Ihr Vorschlag.) Wir sehen den Enten beim Rumschwimmen zu. Das macht man hier wohl so, wenn kein Bankett oder eine royale Party ansteht. Und, hey, denke ich, Holden Caulfield, ich weiß jetzt, wo die Enten aus dem Central Park im Winter hinziehen. Hier gründeln sie.

“Tja”, sagt Bettina. “Weshalb denkst du, habe ich dich hierhin mitgenommen und nicht in die Orangerie?” “Weil sie noch zu ist?” “Unsinn, ich kann durch Wände gehen.” “Aber …”  “Es geht nicht, darum, was ich kann oder du, sondern die Enten.” Langsam begreife ich. Stadt – Land. Was die können, kann ich auch. Hier dümpeln und wenn es wieder warm wird, geht es zurück in die Stadt. Bis dahin schreibe ich – da man hier eh nichts anderes machen kann. Also genial. “Und immerhin hast du Internet!”, sagt Bettina. “Jawoll!”

wiep_enten

#Schreiben

Shades of Blue und das eine Buch

12. Februar 2015
Shades of Grey

Okay, die Information ist angekommen. Heute kommt Shades of Grey heraus, der Film. Nach EINEM Buch. Fanfiction, ein Erfolg und nun ist Mrs Leonard/James genauso reich wie Mr. Grey, ein neues Level, ein ganz neues Leben. Das beschäftigt mich, weil meine Schreibprojekte und -aufträge sich gerade so auftürmen, dass ich genug Arbeit für drei  fünf Jahre habe. Ich winke mal rüber zu den Bloggern mit dem großen SUBs. Fragt ihr euch nicht auch manchmal, was es für einen Sinn macht, immer schneller, immer mehr Bücher zu lesen? Was zieht man dann noch aus einem Buch, was lernt man, was bleibt hängen?

Was das Leben verändert

Wäre es nicht viel besser, EIN Buch zu lesen, das das Leben wirklich beeinflusst, verändert? “Ja, aber ich lese doch so gerne”, ist vermutlich die Antwort. Ja, ich schreibe auch sehr gerne. Aber macht es Sinn, ein Buch nach dem anderen zu produzieren? Bücher, die mir viel bedeuten, aber dann nur irgendwo auf einem SUB landen, der vielleicht erst in 3-4 Jahren abgearbeitet ist? Ich denke an King und den Unfall. Ihr wisst schon, ich hatte vor einer Weile angefangen, über “On Writing” von Stephen King zu bloggen. SEIN Buch. Und zwar unter anderem deshalb, um euch dann final von dem unglaublichen Ende zu berichten. Dem kleinen Nachtrag. Der Wahnsinn. Also … ich hole das mal kurz nach.

Stephen King und das eine Buch

Zur Erinnerung: In “On Writing” schreibt King nicht nur über die Kunst des Schreiben, sondern auch von seiner Kindheit, Jugend, seinem Schriftstellerleben, von seiner Drogen- und Alkoholsucht und wie er sie überwunden hat. Das Leben und das Schreiben eben. Gehört alles zusammen. Enthüllungen in Kombination mit Schreibtipps, ein Lehrwerk, weise, intelligent, genial. Eine Sensation. Und dann ist das Werk halb fertig, der Verleger wartet schon. Da muss es King wohl gedämmert haben, dass er gerade DAS Buch schreibt, das sein Leben verändern wird. Vielleicht. Ein Spaziergang mit Hund. An diesem 19. Juni 1999 wird King von einem Kleinbus angefahren und schwer verletzt, stirbt fast.

Leben und Schreiben

Er schildert den Unfall detailliert. Wie er blutüberstömt auf der Straße liegt und der Mann, der ihn angefahren hat (und nur nebenbei bemerkt ein Jahr später mit 43 exakt an Kings Geburtstag stirbt), mit seinem Rottweiler “Bullet” beschäftigt ist (sein anderer Rottweiler “Pistol” ist zuhause geblieben). Die Szene ist so absurd, dass man sie eigentlich nur in einem Stephen King Roman erwartet, keinesfalls in der Realität. Und was macht King, als er wieder gesund ist? Er fügt die Schilderung seines Unfall einfach zu “On Writing” hinzu. Im letzten Kapitel, das er “On Living” nennt. Warum? Gehört das dazu?

Aufrichtigkeit

Hm, irgendwie schon. Weil alles zusammengehört. Jedenfalls für King, dessen Unfall auch viele seiner späteren Werke beeinflusste. Für “On Writing”, hat King den National Book Award bekommen. Verdient, wenn ihr mich fragt. Ein gutes Buch, eine gute Geschichte: Ein Schriftsteller, der erfolglos startet, leidenschaftlich schreibt, kämpft, einen Bestseller schreibt, dem viele weitere folgen, und dann doch noch dieses EINE Buch schreiben muss, um die Anerkennung zu bekommen, die ihm zusteht. Was ich sagen will: Ich lebe noch, ich schreibe noch, aber gerade mache ich mir viele Gedanken über das Schreiben und das Leben. Wenn ihr so wollt: Über das EINE Buch.

Buch

#Schreiben

Wie geht Marketing? I kissed a girl …

22. August 2014
Marketing

Ich bin ganz schlecht im Self Marketing. Ich bewundere Autor*innen, die besser sind, das können. Das machen. Es gibt doch diese Aufkleber: I (Kussmund) Paris. Oder I (Kussmund) New York. Okay, I (Kussmund) Berlin, aber darum geht es gerade nicht. Es geht um einen Aufkleber, den ich bei Facebook gesehen habe und der mich stark ins Grübeln gebracht habt. I (Kussmund) Autorin xy. Eine wirklich selbstbewußte Werbeaktion von Autorin xy, die mich a) fasziniert b) stark irritiert c) Fragen aufwirft. Ich habe keinen solchen Aufkleber. Stimmt was nicht mit meiner Selbstvermarktung? Ich frage den Experten yz und lasse ihn einen Blick auf meine Social-Media-Aktivitäten, meine Website, meinen Blog werfen. Es ist ernst.

Social Media

“Okay”, sagt er ganz nüchtern, “Facebook können wir mal gleich vergessen, ein paar Posts über den Bagger vor der Tür und dann mal einen – ab und zu – über ein Buchcover oder eine Veröffentlichung? Wenn interessiert das schon? Die Leute wollen NAH an dir dran sein. Wo sind die Post über deine Katze, dein Essen, deinen Schreibtisch, deinen Hinterhof?” Er zwinkert mir zweideutig zu. “Darum geht es doch.”

“Zu privat?, hauche ich und weiß gleichzeitig, dass das heutzutage kein Argument mehr ist. Note 5. Okay, Twitter?, frage ich schon leicht eingeschüchtert. Immerhin HABE ich einen Account.

“Twitter?”, sagt er und lächelt abfällig. “Auf deutsch? Kannst du gleich knicken. Wenn schon, dann Twitter-Lyrik, da macht Deutsch Sinn aber sonst? Denn – wie viele deutsche Twitterkontakte hast du?”

“Ein-paar-sehr-nette!”, sage ich fest. Er lacht wieder (sehr witzig).

Ich atme tief ein.

Website & Blog

Ich habe immerhin noch eine Website und einen Blog. Ich finde, da bin ich stark. Er ruft die Website auf. Sie findet Gnade.

“Na gut. Okay.”

“Der Blog?”

Er schaut genauer. “Sind das echt die Blogbeiträge? Vorschläge, wie man besser schreibt?”

“Von Stephen King, murmele ich leise.

“Oder Vorschläge wie man besser bloggt?” (Echtes Entsetzen.) Ich schweige besser. “Meinst du, das wollen die Leute lesen? Sich von dir belehren lassen?”

“Nein?”

“Nein, nein, nein. Du musst die Leute für dich einnehmen, sie umschmeicheln, sie umwerben! Das ist gutes Marketing.”

“Ach so”, sage ich kleinlaut. “Ich dachte … es ging auch um das große … Ganze. Die … Literatur.” Er lacht, diesmal sehr laut. “Aber dafür bist du doch nicht verantwortlich. Was interessiert dich denn, ob es da draußen ein paar gute Bücher oder Autoren oder Blogbeiträge mehr oder weniger gibt? Denk an dich! Dein Geschäft.”

Kunst & Geschäft

Aha. Langsam werde ich sauer: “Mein Schreiben ist doch kein Geschäft!” (Okay, ich weiß, dass sich Wikipedia-Autoren darüber streiten, ob ich eher Künstlerin oder Geschäftsfrau bin, weil ich meine Kinder als Agentin im Filmgeschäft vertrete, aber die haben doch überhaupt keine Ahnung). “Ich – bin – Künstlerin. Ich will die Welt verbessern, schöner machen.” Jetzt lacht auch der Experte nicht mehr, sondern sieht mich nur noch sehr mitleidig an.

“Die Welt verbessern? (prust) Aber dafür hast du mich doch nicht engagiert, oder?”

Nein, natürlich nicht. Ich zeige ihm die Aufkleber. “Sollte ich das machen? I (Kussmund) Katrin?”

“Tja, sagt er, die Idee hat was.”

“Echt jetzt? Wirklich? Ich denke mal, mein Ego ist nicht so groß, dass ich … Aufkleber? Wirklich!?”

Er schaut mich traurig an. “Wer will, dass andere einen lieben, sollte vielleicht erst einmal anfangen, sich selber zu lieben, oder?” Er lächelt. “Das müssen wir alle irgendwann lernen.” Wir schweigen einen Moment. Ich ganz besonders. Dann bringe ich ihn zur Tür und winke ihm nach. Aufnimmerwiedersehen.

Ich nehme mein iPhone heraus, Kamera auf mich. Es ist doch nur ein Kuss! I (Kussmund) mein iPhone. War doch gar nicht so schwer, oder?

 

 

 

Stephen King - On Writing

Stephen King – On Writing #23 Der Rat eines Experten

5. April 2014
Der Rat eines Experten

Warum hat King On Writing überhaupt geschrieben? Ich meine, warum schreibt ein erfolgreicher Autor ein Buch darüber, wie man schreiben soll/kann/muss? Im letzten Jahr hatte ich das Vergnügen, mit einem Geschäftsexperten zu sprechen. Ich durfte ihm eine Frage stellen, die mich bewegt und bekam – den Rat eines Experten.

Meine Frage war: “Wie kann ich mehr Leser mit meinen Büchern erreichen?”

Seine Antwort war simpel: “Wenn du mehr Leute erreichen willst, solltest du die Qualität senken.”

Sorry? Ich arbeite Jahrzehnte an meiner Sprache, meinem Stil, damit ich dann meine Qualität senke? Nachdem ich vergeblich versucht habe, ihn davon zu überzeugen, dass es noch einen anderen Weg gibt, kam ich mit meinem stärksten Argument:

“Das kann ich nicht machen. Ich stehe mit meinem Namen für eine gewisse Qualität.”

Lapidare Antwort: “Dann nimm dir doch einen anderen. Ein Pseudonym.”

Verstehe: Ein pseudonym. Wie wäre es mit: Catherine Bongé (historische Liebesromane aus Frankreich) oder Kate Bonnet (Zeitgenössische Liebesromane  aus Amerika). Ich habe einige Tage gebraucht habe, um mich von diesem Ratschlag zu erholen. King war da wohl nicht so empfindlich, er hatte mindestens zwei Pseudonyme: John Swithen und Richard Bachman. (Und reden wir besser nicht über die Bücher, die er unter diesem Pseudonym geschrieben hat.)

Pseudonym

Warum will man anders heißen, wenn man KING heißt? Nun, King hat “On Writing” sicher nicht geschrieben, um sich selber etwa beizubringen, er kann schreiben. Aber wissen das auch alle? Denn in Buchkreisen heißt es eben auch (siehe oben) gerne: Was sich so gut verkauft, kann nicht gut geschrieben sein. Also ging es bei “On Writing” für King nicht um große Buchverkäufe oder dem üblichen Erfolg, sondern um die Anerkennung bei Literaturkenner und Experten. Den Leuten, die etwas vom Schreiben verstehen. Denen wollte er erklären, dass er sehr wohl den Unterschied zwischen gut und schlecht kennt und dass er – wenn er will – auf höchstem Niveau schreiben kann. Stimmt. Ein ganzes Buch um den Beweis anzutreten.

Und was mache ich? Vielleicht hat der Experte ja recht, aber ich werde meine Qualität nicht senken. Und ich werde mich auch nicht in verschiedene Schreibpersönlichkeiten zerlegen, das erinnert mich an Horkruxe. Wenn der Experte also recht hat, dann liebe Leser, willkommen in meiner kleiner exklusiven Leserschaft. Für euch schreibe ich. Und vielleicht auch um den Experten – nun – zumindest teilweise zu widerlegen.

 

Stephen King - On Writing

Stephen Kings “On Writing” #18 Schreibpausen

3. November 2013
Schreibpausen

Wenn ich einen Plan aufstelle, wie lange und oft ich schreiben will oder sogar noch weiter gehe und mir vornehme, wie viele Seiten ich täglich schreiben will, dann ist ziemlich sicher, dass ich eine Pause brauche.

Natürlich ist es ein verführerischer Gedanke, jeden Tag eine bestimmte Menge zu schreiben und dann mit diesem guten Gefühl vom Schreibort aufzustehen: Für heute alles geschafft. Na klar. So macht man 50 Jahre weiter und dann hat man endlich das Leben geschafft und – ja was? Egal wie stolz King auf sein Schreibpensum ist, ich behaupte (und etwas später in “On Writing” sagt King das auch) Schreibpausen sind enorm wichtig. Vielleicht sogar die allerwichtigsten Phasen im Schreibprozess. Nicht nur, wenn man ein Buch fertig geschrieben hat.

Urlaub

Ich war also sehr froh, als mich meine beste Freundin zu sich in die Provence eingelanden hat. Um es gleich zu sagen: Sie wohnt im Paradies. Ein Haus im Hinterland der Provence. Feigen-, Lorbeer- und Olivenbäume, Salbei, Thymian und Rosmarin im Garten. Ich lausche in die Natur, die leise raschelt, sonst nichts. Nachts keine Autos, schon gar keine Baustelle, noch nicht mal bellende Hunde wie im Ferienhaus in Italien.

Ich frage mich, ob ich hier ein Buch schreiben könnte? Viele Autoren ziehen in abgelegene Orte und schreiben. Ist das was für mich? Dann erinnere ich mich, dass ich eine zeitlang in Berlin in einem Haus mit einem riesigen Obstgarten gewohnt habe. Es ist ja nicht so, dass die Natur einen in Ruhe lässt. Im Grunde macht sie andauernd Vorschläge, was man in und mit ihr anstellen könnte. Äpfel ernten und Rasen mähen. Und hier, in einer der schönsten Gegenden Europas sind die Vorschläge erst recht unwiderstehlich.

Rastlos in der Ruhe

Eine Wanderung durch die Gegend zum Beispiel. Grandiose Aussicht, wilde Olivenbäume. Sollte man die Oliven vielleicht ernten, in Salzlake einlegen und seinen Freunden irgendwann zu Käse und Wein anbieten? Was ist mit den Feigen, die man wunderbar zu Marmelade kochen kann? Versteht mich richtig, ich sehne mich nicht danach, Oliven einzulegen oder Feigenmarmelade zu kochen, aber sich in einer solchen Gegend ins Haus zu setzen und auf seinem Laptop zu schreiben, kommt mir unanständig vor. Ich will die Buchten sehen, wo man schwimmen kann, das Licht erleben, die seltsam zerklüfteten Felsen in La Ciotat, in einem Restaurant im Hafen von Cassis essen, in einem kleinen Geschäft bei einem alten Franzosen selbstgemachten Pastis kaufen.

schreibpausenIch genieße die Schreibpause und gleichzeitig sauge ich Eindrücke auf. Ich weiß schon jetzt, dass eines meiner zukünftigen Bücher in dieser Gegend spielen wird. Warum nicht meine Heldin Oliven einlegen lassen? Dann kann ich mir vorstellen, wie sie das macht und irgendwie muss ich es dann auch gar nicht mehr selber tun. Schon nach einem Tag habe ich das Gefühl, in einer viel wichtigeren Phase, als einer meiner Schreibphasen zu sein. Ich tanke auf. Urlaub?

Kreative Schreibpausen

Wenn man kreativ arbeitet, dann gibt es keinen Urlaub. Denn genauso wenig wie man aufhört zu essen, hört man auf, Eindrücke aufzunehmen. Und im Grunde gibt es im kreativen Prozess auch keine Arbeit, denn wenn es sich nach Arbeit anfühlt, ist schon etwas falsch. Dann braucht man eine Pause. In einem abgelegenen Haus in der Provence begreife ich, dass ich mich gerade nicht etwa in einer Schreibpause befinde, sondern endlich wieder richtig angefangen habe zu schreiben. Auch wenn ich keinen einzigen Satz in meinem Laptop sichere.

Stephen King - On Writing

Stephen Kings “On Writing” #12 Der Hit

23. September 2013
Der Hit

Bei King beginnt ein neues Kapitel, nach “Toolbox” folgt “On Writing”. Wenn ein Buch”On Writing” heißt und man an das Kapitel “On Writing” kommt, dann ist man zum Herzstück des Buches vorgedrungen. Interessanterweise auch genau in der Mitte.

FotoEs ist wie mit einer LP. Der Song, der wie die Platte heißt, okay, hier erwarten wir den Hit. Aber anders als der Hit auf der Platte, wo wir zu Recht erwarten, nun Abtanzen zu können, kommt bei King an dieser Stelle die harte Lektion.

Harte Worte

Die erste These hat er uns im Kapitel davor schon erzählt: Gutes Schreiben besteht darin, die Grundlagen zu beherrschen (Wortschatz, Satzbau, Stilelemente) und sie richtig anzuwenden. Seine Worte:

… filling the third level of your toolbox with the right instruments.

Hat er vorher wirklich über das dritte Level der Toolbox gesprochen? Nein, nicht wirklich, also schaut mich jetzt nicht fragend an.

Gute, großartige, fähige und schlechte Autoren

Die zweite These ist etwas unkonventioneller: Während es  unmöglich ist, aus einem schlechten Autoren einen fähigen/tüchtigen zu machen, oder aus einem guten Autoren einen großartigen, ist es sehr wohl möglich, mit viel harter Arbeit und Unterstützung aus einem bloß einigermaßen fähigen Autoren einem großartigen zu machen. What?

Ich kann das nur verstehen, wenn ich es auf das Schauspiel übertrage. Ich sehe seit zehn Jahren Schauspieler am Set spielen, ich bekomme regelmäßig Videomaterial zugesandt oder angehende Schauspieler spielen mir vor. Ich war immer davon überzeugt, dass man Schauspiel – natürlich – lernen kann und alles möglich ist. Ich habe diese Überzeugung verloren und ich würde King, hätte er das Obige über das Schauspiel gesagt, sofort zugestimmen. Vielleicht, weil ich betriebsblind bin, was das Schreiben angeht. Beim Schauspiel ist es für mich ganz eindeutig. Mittelmäßige Schauspieler werden keine großen Schauspieler, grottige Schauspieler keine mittelmäßigen. Aber – wenn jemand das Besondere “ginga” hat, dann kann er mit viel Leidenschaft und einem guten Training praktisch von der Grundlinie aus ganz groß werden.

Underdogs

King ist ein Freund der Underdogs, die es nach oben schaffen. Nun, er ist selber einer. Und wie die meisten Underdogs ist er ein großer Verfechter von harter Arbeit. Ich bin kein Underdog, nie gewesen, eher das Gegenteil, aber ich weiß, wovon  er spricht, und ich weiß, dass man die Grundlagen lernen muss. Ins Basement gehen. Harte Arbeit. Und wenn man sich dort eingerichtet hat, dann kommt vielleicht die Museoder der Muser (bei King ist es ein Mann – sorry for that) und fügt Magie hinzu.

Sind wir schon wieder bei der Magie? Gibt es denn gar nichts Handfestes? Vielleicht nach der Mitte des Buches. Mal sehen.

 

Stephen King - On Writing

Stephen King – On Writing #3 Baustelle

14. September 2013
Baustelle Schreiben

Es ist nicht so, dass ich die nächsten Blogbeiträge vorhabe, einen Vortrag über “On Writing” zu halten. Es ist nur so, dass ich alles, was mich gerade beschäftigt, mit diesem Buch in Zusammenhang bringen kann, woran ich merke, dass es ein sehr gutes Buch ist. Sogar die Baustelle vor meinem Haus ;)

Stephen King ist ja ein alter Hase und ein Schlitzohr, er ist nicht zufälllig so erfolgreich. Wie ist das eigentlich mit dem Verhältnis von Werk zu Autor*in oder von dem Buch, das man gerade schreibt, zum eigenen Schreiben. King zitiert in “On Writing” seinen ersten (echten) Agenten mit den Worten von Alfred Bester: “Das Buch ist der Boss”.

Das Buch ist der Boss

Ja, klar, wir Autoren wissen das. Natürlich. Und auch für Stephen King war das so. “On Writing” war der Boss. Es war nicht nur ein Schreibprojekt, es war sein eigener Thriller, sein Horror. Warum? Weil es eine Baustelle unvorstellbaren Ausmaßes war.

Kurzer Exkurs: Wir haben eine Baustelle vor der Tür. Ich weiß, ihr denkt jetzt, das kennt ihr. Ich will auch gar nicht angeben – oder doch! Heute Nacht zum Beispiel wurde durchgearbeitet. (Damit der Nahverkehr möglichst wenig unter den Bauarbeiten leidet.) Das liegt daran, dass wir an einer der Hauptachsen der Stadt wohnen.

Ich mag das. Egal, zu welchem öffentlichen Gebäude ich in Potsdam muss, es liegt praktisch an unsere Straße. Der Steuerberater gleich gegenüber, auch die Meldestelle, das Straßenverkehrsamt, alle Lieblingskaffees, die Bücherei, der Bahnhof (die Straße ist lang). Das ist wie wenn man an einem Schreibtisch sitzt und alle Stifte und Blöcke oder eher Schreibgeräte und Gadgets parat hat. Keine unnötige Sucherei oder Wege. Ich finde auch die Baustelle gut. Nicht nur, weil in den letzten Jahren immer mal wieder ein reißender Fluss aus ihr wurde, wenn ein Wasserrohr gebrochen war, sondern weil ich Umbrüche und Veränderungen mag.

Umbrüche

FotoIch meine: mögen heißt nicht lieben. Es heißt, ich bin froh, wenn sie kommen, denn freiwillig würde ich mich nicht in eine Umbruchssituation begeben. Ich erinnere mich, wie die Autorin Hera Lind auf dem Höhepunkt ihres Erfolges in einem Interview gefragt wurde, was sie gerne an ihrem Leben verändern möchte und sie sagte: “Nichts.”

Kurz darauf zerbrach ihre Beziehung, die Presse stürzte sich auf sie, sie ging bankrott u.s.w. Weil nichts bleibt wie es ist. Wenn ich ein Buch schreibe oder eine Geschichte und alles bleibt darin so wie es ist, dann kann ich mir selber einen Stern in mein Schulheft malen, denn mehr wird es von den Lesern auch nicht geben.

Ich finde nicht gut, dass die Stadtverwaltung hier sämtliche Bäume in der Straße gefällt hat, aber es wäre dumm zu denken, eine Veränderung wäre ohne Opfer möglich. Bis jetzt finde ich, sind wir ganz gut weggekommen, denn heute Nachmittag hatte ich das Gefühl, das Haus stürzt ein, als sie vor unserer Haustür die Straße aufgebrochen haben.

Okay, sorry, das war ein längerer Exkurs. Ich wollte euch auch nur den Zustand “Baustelle” möglichst plastisch vor Augen führen, denn wenn man ein Buch beginnt, dann ist es das: Man nimmt sich eine Baustelle vor. Baustelle Schreiben. In der Regel wackelt dann nicht das Haus. Bei Stephen King war es sogar ein wenig mehr …