Stephen King - On Writing

Stephen Kings “On Writing” #21 Charaktere

8. Januar 2014
Charaktere erschaffen

Ich finde, das Erschaffen eines Charakters ist das Schwierigste beim Schreiben. Der Moment, in dem man sich am weitesten öffnen muss und am allerleichtesten seiner eigenen Eitelkeit erliegt. Da sagen dann die Charaktere coole Sachen (die man gerne mal loswerden will) oder machen coole Dinge (die man sich selber nicht traut). Je jünger oder naiver die Leser, desto eher kommt man damit durch, aber die Leser, die man sich wünscht, sind nicht naiv und die jüngeren Leser werden älter. Man will ja schließlich als Autor – bleiben. Was sagt denn King so dazu?

“Paying attention to how the real people around you behave and then telling the truth about what you see.”

Wahrhaftigkeit

Hallo, da ist sie wieder: Die Wahrheit. Oder Wahrhaftigkeit. Das heißt dann wohl, sich bei seinen Protas nicht bei Seriencharakteren aus Film- und Fernsehen zu bedienen, sondern nach etwas Originellerem Ausschau zu halten. Klichees?

“In that case I lose bigtime, and so does the reader.”(King)

Bigtime klingt für mich genau nach der Zeit, die ich beim Lesen und Schreiben haben möchte. Und die ich dem Leser geben möchte. Bigtime heißt auch, so gut zu schreiben, dass die Charaktere real werden, man fast das Gefühl hat, es gibt sie wirklich. Ein Grund warum ich nicht so gerne über Elfen, Zauberer und Feen schreibe, da man selten erwartet, dass sie ins Zimmer marschieren. Allerdings setzt man sich dadurch auch stärker der Kritik der Leser aus, die nie sagen: Eine solche Elfe gibt es doch gar nicht, bei realen Charakteren aber ständig behaupten, dies oder das wäre unrealistisch.

Every character you create …

King erzählt in “On Writing”, dass seine erfolgreichste (wenn man den Erfolg an der Rückmeldung der Leser misst) Eröffnungsszene die von “The Dead Zone” ist. (Es gibt eine Kinoadaption und eine Serie nach Kings erstem Hardcover-Bestseller). Die Leserrückmeldungen waren überdurchschnittlich und sehr unterschiedlich. Da gibt es den Hauptcharakter, Greg, der einen Hund übel behandelt. Die Leser beschwerten sich über Gregs Brutalität. Worauf King antwortete: a) Greg ist nicht real b) der Hund ist nicht real c) Ich (King) habe noch nie in meinem Leben einen Hund schlecht behandelt.

Wichtig für King war, die Grausamkeit des Hauptcharakters früh einzuführen. (Da fällt mir doch gleich die erste Folge von House of Cards ein …) Es kann eben nicht darum gehen, den Leser oder den Hauptcharakter zu schonen. Und sich selber schon gar nicht, denn:

“Every character you create is partly you” (King)

Wie war das noch mit Voldemort, der Teile seiner Seele in Menschen und Dingen versteckt? So kommt mir das manchmal vor, als ob ich überall Teile meiner Seele in meinen Charakteren verstecken würde und natürlich Eigenschaften, Marotten, Stärken, Schwächen.

Der Charakter und das Selbst

Ich behaupte auch, dass ein guter Leser in der Lage ist, diese Dinge aus dem Text herauszulesen und es ist definitiv der Grund, warum einige Autoren (und übrigens auch Schauspieler) ablehnen, großartig über sich selbst zu reden, denn wer aufmerksam liest/zusieht, sollte eigentlich schon alles wissen. Meine Tochter behauptet, meine (weiblichen) Charaktere werden mir immer ähnlicher und wenn man bedenkt, dass ich am Anfang einen männlichen Protagonisten für meine Geschichte gewählt habe, dann ist das doch schon ein Fortschritt, oder? Allerdings ist das Erschaffen von Charakteren leider nicht so, als ob man ein Puzzle zusammensetzt, sondern eher, als ob man eine Art Frankenstein oder Pinocchio erschafft. Denn während man einen Charakter schmiedet, beginnt das Unvermeidliche: Diese verflixten Typen machen sich einfach selbstständig, wollen selber entscheiden.

Nach King ist das auch ganz richtig so:

“And if you do your job, your charakters will come to life and start doing stuff on their own.”

Mit dem beruhigenden Zusatz:

“I know that sounds a little creepy if you haven’t actually experienced it, but it’s terrific fun when it happens.”

Okay, fun. Nun schreibe ich zum ersten Mal eine Geschichte, in der die Perspektive wechselt (“Kissing more“) und auf einmal habe ich zwei Charaktere, die mit mir machen, was sie wollen. Ganz toll. Und natürlich haben sie unterschiedliche Vorstellungen von der Geschichte. Also, Mr. King, was mache ich mit meinen eigenwilligen Charakteren? 

“Sometimes they grow a little. If they grow a lot, they beginn to influence the course of the story instead of the other way around.”

Was man nach King verhindern muss. Aber es hat auch keinen Sinn, seine Figuren in der Gegend herum zu kommandieren. “Du studierst Germanistik, verstanden!” No way. Zumal ein sehr großer Teil in mir und damit auch in meinen Figuren sich einfach nichts sagen lässt. Also bleibt die Frage: Wer ist denn nun der Boss? King:

“I think that in the end, the story should always be the boss.”

  • IraW
    8. Januar 2014 at 15:21

    “Every charakter you create ist partly you” – genau das merkt man Deinen Büchern aber auch immer an und das macht auch die Diskussionen immer interessant! :-)

  • Katrin
    8. Januar 2014 at 15:54

    Danke. Bin sehr froh, dass King das auch so sieht. Dachte schon, ich bin ein Freak … äh, nur … King ist ein FREAK, ahhhh!

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