Explore

Feminismus

#Schreiben Feminismus New Adult

New Adult – Bridging the Gap

6. November 2020
New Adult

Manchmal frage ich mich, wie alles begann und warum ich dieses Sub-Genre New Adult so liebe, das um 2013 von den USA als Genre-Phänomen nach Deutschland kam und erst die Bestsellerlisten und dann die Schreibvorlieben der deutschen Autor*innen erobert hat.

Vermutlich, weil ich glaube, dass hinter diesem Sub-Genre mehr steckt, als nur ein neues Bestsellerphänomen oder zumindest sehr viel mehr stecken könnte.

Wie ging es los?

Wie kam es überhaupt zu der Bezeichnung: New Adult? Ich habe dazu schon 2014 einen Beitrag auf der Red Bug Culture-Website geschrieben, denn New Adult fasziniert mich schon eine Weile:

Das Subgenre wurde 2009 von der St. Martins Press „erfunden“, um schon existierende Stoffe neu einzuordnen und besser herausstellen zu können. Die ersten Autor*innen waren Anglo-Amerikaner*innen.

Es hat sich anfänglich aus dem Genre der Contemporary Lovestory, zwischen Young Adult und Chic-Lit herausgebildet und die meisten Titel sind Liebesgeschichten. Wenn man so will, existiert das Genre ja auch schon, es wurde nicht erst erschaffen sondern nur von Young Adult und Erwachsenen Literatur abgegrenzt.

Wer das ganz ausführlich möchte, dem empfehle ich den Artikel von Emma Stewart über das Phänomen New Adult (in Englisch). Ich habe die PDF auf meinen Blog gelegt. Hier zum Download.

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich, als ich 2013 die Bücher von Abbi Glines und Jamie McGuire gelesen habe, zwiegespalten war. War das …  anders verpackte Erotik? War das Schund? Aber dann gab und gibt es excellent geschriebene New Adult-Bücher, die verdienen, Teil der Pop-Kultur zu werden. Mir fiel auf, dass die Bandbreite sehr groß war. Was sie alle verband: Es wurde offen über Sex geschrieben, wenn es um Begegnungen von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen ging. Kein fade to black. Und das fand ich erstmal wichtig. Die ersten New-Adult-Bücher wurden in Deutschland zwar für Erwachsene vermarktet (Stichwort Warengruppe), aber die Protagonist:innen waren jung, meist noch nicht volljährig (zumindest nach amerikanischen Recht). Also war das für mich Literatur für junge Erwachsene, für Jugendliche.

Mir gefiel auch die hohe Emotionalität der Geschichten, denn das Jugendbuch wird ansonsten hauptsächlich von “Themen” beherrscht. Kopf statt Bauch. Starke Gefühle zu zeigen, sie intensive zu beschreiben, hat man eher und besser den Romance-Autor:innen überlassen. Das zeitgenössische Jugendbuch – seit 2005 meine Schreibdomain – sollte sich lieber sachlich mit “Problemen Jugendlicher” auseinandersetzen (siehe die Regale in euer Bibliothek.)

Jugend und Körper

Es hat mich immer schon gestört, dass die Pubertät offenbar eine Zeit ist, die von vielen Erwachsenen gerne klein gemacht wird. Die Zeit, in der die Kinder komisch werden und peinlich und zu lächerlichen Puber-tieren werden und eine Menge Probleme haben, die man dann in Unterkategorien von Sucht, Sex, Stress, Depression aufteilen kann. Denn, hm, waren wir nicht alle mal selbst an diesem Ort?

Klar, hier passiert viel, mit dem Gehirn und dem Körper und das muss erstmal verkraftet werden. Besonders heftig ist es für Mädchen. Jungs bekommen Muskeln und Bartwuchs und damit Zeichen von Power, Mädchen weiche Brüste und Rundungen, die sie verletzlicher und angreifbarer machen. In dieser Zeit beginnt die Phase der große Verunsicherung: Bin ich schön genug? Zu dick, zu dünn und so weiter.

Das sind wichtige Themen im Jugendbuchbereich, doch leider werden sie meist erst dann aufgegriffen, wenn es schon “zu spät” ist. Wenn es ein Problem geworden ist wie Magersucht oder Depression. Auch SickLit genannt. Denn Krankheit erlaubt einem Mädchen (fast immer sind kranke Mädchen die Protagonist:innen) ihre letzten Wünsche zu äußern und endlich zu sagen, was sie wirklich will. Aber warum muss man erst krank werden, um zu wissen, was man will? Ist das die message? Und kann New Adult hier etwas ändern?

New Adult – was und für wen?

Wie war das denn am Anfang? Wie ging es auf dem deutschen Buchmarkt los mit New Adult? Am Anfang – ich spreche hier von 2013/14 – gab es die eher erotischen New-Adult-Bücher, die damals noch nicht als New Adult vermarktet wurden und die bei z.B. Piper auch gerne in der Erotik-Abteilung erschienen. Junge Protagonist:innen zwischen 20 und 25, das Mädchen fast immer noch Jungfrau, der Mann dagegen erfahren und Typ Badboy.

Aber es gab ja auch schon “Twilight”, ein Jugendbuch, das die Tür zu mehr Emotionalität aufgestossen hatte. Allerdings extrem prüde mit Sex umging. Das hat dann Frau James mit Shades of Grey (ehemals Fanfiction zu Twilight) geändert und Licht ins Dunkel gebracht. Seeehr viel Licht. Irgendwie schien Zu-wenig- zu-viel ein Thema zu sein. Und auch die Frage, wo sich die richtige Zielgruppe für diese Bücher befand oder befindet, war unklar. Während Twilight Autorin Stephenie Meyer der Meinung war, sie schriebe ein Erwachsenenbuch (und ihre Agentin sie dann sanft überzeugt hat, dass das doch eher in die Jugendabteilung gehört), hat Frau James mit einem kindischen Schreibstil den Erwachsenenmarkt erobert. Was war da los? Oder was ist da los, denn immer mehr Erwachsene lesen gerne Jugendliteratur und New Adult. Und viele sagen: Es muss gar nicht anspruchsvoll sein. Ich will meinen Kopf ausschalten.

Und die Jugendlichen? Ich kenne keine Jugendlichen, die ihren Kopf ausschalten wollen, ganz im Gegenteil. Sie wollte allerdings auch nicht immer nur im Kopf sein. Besonders dann nicht, wenn sie in die Pubertät kommen. Natürlich wird Sex ein Thema und zwar ein Großes. Und irgendwie kann uns allen weder Stephenie Meyer noch Frau James und Shades of Grey wirklich weiterhelfen, wenn es um die Frage nach gutem Sex geht.

Es ist interessant, dass New Adult immer noch zwischen den Bereichen oder Warengruppen Jugendbuch und Erwachsenenbuch hin- und herwabert.

Sex sells … und mehr

Wir leben in einer Zeit, in der immer offener mit Fragen zu Sex umgegangen wird. Das ist gut, aber nicht alles ist so, wie man es als unerfahrene Sexanfängerin braucht. Alles wird aufgedeckt und untersucht, Vaginen prangen auf Buchcovern. Super! Aufklärung!, möchte ich gerne rufen und finde ich sehr positiv, weiß aber gleichzeitig, dass mich das als Teenagerin ungefähr so abgetörnt hätte, wie die Vorstellung vom Sex meiner Eltern. Ich will es schon wissen, aber bitte nicht wie im Sexualkundeunterricht vorgehalten bekommen.

Das Thema Sex in Büchern – und ich meine guten Sex, also “Liebe machen”, beschäftigt mich seit ich als pubertierende Leserin einfach keine Bücher finden konnte, die mir liebevoll und emotional, aber gleichzeitig realistisch und sachlich sagen konnten, wie das geht mit diesen beiden Körpern. Ich war mir nicht sicher, ob ich Frauen oder Männer liebte, so sehr hat mich das alles verwirrt. Und nirgendwo gab es Antworten. Als ich – eher aus Zufall – Jugendbuchautorin wurde, wollte ich das ganz bestimmt ändern. Eine Sexszene zu schreiben ist sicher nicht dass, was man sich wünscht, wenn man morgens aufsteht, übermüdet die Kinder zur Schule fährt oder den Abwasch macht. Oh, und nachher noch die Sexszene schreiben. Ich lernte, dass auch das eine Kunst ist, über die sich übrigens schon einige Autor*innen den Kopf zerbrochen haben. Zum Beispiel Diana Gabaldon.

Als dann mein erstes Jugendbuch (Radio Gaga) 2005 herauskam, gab es Kritik für eine explizite Sexszene von Lehrerinnen, aber Schüler:innen forderten auf Lesungen immer genau diese Szene ein. Was lief da schräg? Ich fand es wichtig, eine gute Sexszene zu schreiben, damit nicht immer mehr schlechter Sex “ausprobiert” wird, an dem dann am Ende wohl eher die Mädchen leiden würden. Aber warum hatten einige Erwachsene so viele Probleme damit?

Nun, New Adult enthält Sexszenen. Selbst, wenn viele New-Adult-Bücher heute nicht in der Erotikabteilung stehen, scheint eine Sexszene dazu zu gehören und findet sich dann meist als Höhepunkt in der Mitte und/oder am Ende des Buches. Klar, wenn es in der Geschichte stark um Sex geht, dann hat der auch eine dramaturgische Funktion.

Heißt: Das Zusammenkommen der Partner – auch körperlich –  ist dann tatsächlich ein Höhepunkt/Klimax im Buch und das würde ich auch so schreiben. Anmerkung: Wenn ich lese, dass ein sex-unerfahrenes Mädchen einem Jungen beim ersten Sex den Rücken aufkratzt, dann muss ich das Buch sehr weit wegwerfen und einfach mal hoffen, dass niemand glaubt, was da steht. 

Dass Sex in Büchern nicht immer so wie im Leben sein muss, ist natürlich klar. Trotzdem ist es vermutlich sowohl für Mädchen/Frauen als auch Jungs/Männer frustrierend, sich mit diesen Sexgöttern zu messen, die immer Lust haben, ständig feucht und hart sind und auch keine Problem damit haben, jemanden sofort und am besten ganz eng heranzulassen. Und wenn es dann mal etwas ruppiger zugeht – so sind sie halt, die Badboy. Eyyyy – nein!

(Zum Thema: Inhalte und besonders zu Sex in New-Adult-Büchern hier mehr oder hier, oder hier, denn in den USA wird darüber schon länger diskutiert.)

Feminismus und New Adult

Es tut sich was in Richtung Feminismus. Auch sehr schön. Die dritte Welle der Frauenbewegung lebt. Allerdings ist auch sie nicht unbedingt in vielen New-Adult-Büchern zu finden, was ich extrem frustrierend finde. Ganz klar verkaufen sich zurzeit (nicht nur) die NA-Bücher besser, die ein konservatives Männer- und Frauenbild zeigen. Heterosexuell, versteht sich. Bücher, die sich mit anderen Lebensweisen und Vorlieben, gleichgeschlechtliche Liebe oder oder beschäftigen, landen in Nischen. Argumente der Verleger*innen und Selfpublisher:innen: Die Frau/Leserin – will es ja so, also warum etwas anderes schreiben?

Viel New Adult orientiert sich eher an den konservativen Leser:innen, die kleine Abweichung im üblichen Beuteschema – Jagd, Fang, Sex, Hochzeit – sofort registrieren und mit verhaltenen Käufen abstrafen. Hier muss natürlich auch jede Autor:in eine Entscheidung treffen, ob ihr der Inhalt oder das Auskommen wichtiger ist. Und welche Leser:innen sie ansprechen möchte.

Eine Autorin erzählt (in einem Podcast), sie hätte ihre ersten New Adult-Bücher (unter Pseudonym) nur aus Gag geschrieben und dafür einfach mal alle Klischees zusammen gepackt.  Ha, ha. Outch! Denn – wenn ich mich recht erinnere, waren es genau diese NA-Bücher der Autorin, die schließlich so gut liefen, dass ihr danach ein Verlag die Möglichkeit für “andere” Bücher gegeben hat. Ein erfolgreiches Format wie New Adult mit Klischees zu überfrachten und für den Einstieg in den kommerziellen Buchmarkt zu nutzen, ist ein schlauer move, aber er verbessert nicht den Ruf dieses Genres und das ist schade.

Sind wir Jugendbuchautor:innen gezwungen, uns früher oder später von New Adult zu distanzieren? Ist es dann doch so schmuddelig, das man besser nur unter Pseudonym schreibt und später am besten alles aus dem Verlauf löscht? Ich denke nicht. New Adult braucht nicht noch mehr Trittbrettfahrer mit Klischeestories oder Autor*innen, die es nur benutzen, um danach – endlich – etwas Richtiges zu schreiben. New Adult braucht mehr Autor:innen, die aus dem mittlerweile stark strapazierten Klischees ausbrechen.

Nebenbei bemerkt: Leser:innen sind unsere Fans/Follower/Käufer:innen/Kunden. Wir sollten sie achten und ernst nehmen. Ich glaube auch, dass wir als zeitgenössische Jugendbuch-Autor:innen, (egal ob im Young oder New Adult-Bereich), eine Verantwortung den Leser:innen gegenüber hat. Oder vielleicht sogar als Autor:in überhaupt, aber das ist eine andere Diskussion.

Frauen-Literatur

Das Thema Frauen-Literatur und Frauen in der Literatur (von Männern) beschäftigt mich schon lange, sogar länger, als das Thema Frauen in der Kunst und ihre Darstellung. Ich plane eine Blogreihe über die Rezeption von “Frauenliteratur” aka Romance//New Adult, die mich in Euphorie versetzt, seit ich immer mehr Autorinnen finde, die das Thema ähnlich leidenschaftlich beschäftigt. Denn die Herabsetzung des Liebesroman-Genres hat Geschichte und tiefe Wurzeln, die bis in die Konstruktion von Geschichten gehen. Stichwort Hero’s Journey. Aber dazu in späteren Blogbeiträgen mehr.

Denn leider ist es bis heute richtig, dass, wer nicht nur materiellen Erfolg haben, sondern auch Preise und Anerkennung im Literaturbereich bekommen möchte, schneller und besser mit “anspruchsvollen Themen” ans Ziel kommt. So steigt man hoch auf der (männerdominierten) Erfolgsleiter und das andere ist … Frauenkram. Kinderkram. Pubertär. Bücher, die bestimmte Literaturkritiker lustvoll in die Tonne treten oder rollen lassen. “Sogar”, wenn sie von Männern geschrieben werden.

Ein neues New Adult

Es gibt sie wohl immer noch, die Lücke im Buchmarkt, zwischen Jugendbuch und Erwachsenen-Literatur. Bücher für Menschen, die merken, dass Erwachsenwerden mehr bedeutet, als sich körperlich zu transformieren und Sex, einen Job, ein Auto, ein Haus, eine Partner:in zu haben.

Junge Erwachsene, deren Träume über eine materielle Erfüllung hinausgehen. Die nach Orientierung suchen, auf allen Gebieten und denen mit Klischees nicht geholfen ist.

Meine Hoffnung ist, dass ein progressives New Adult sie schließen kann. Warum? Weil es tatsächlich zu viele junge Menschen gibt, die vom Erwachsenwerden überfordert sind und unter Depressionen, Magersucht, Sucht etc, leiden. Wir sollten sie alle ernst nehmen, die Quarterlife Crises, und ich gehe davon aus, dass wir sie alle in der ein oder anderen Form erlebt haben.

Die so genannte Quarterlife Crisis (QLC) bezeichnet einen Zustand der Unsicherheit im Lebensabschnitt nach dem „Erwachsenwerden“, der in etwa im Alter zwischen 21 und 29 auftritt, der Endphase des ersten Lebensviertels. Der Begriff wurde in den USA 1997 in Analogie zur Midlife Crisis gebildet. (Quelle)

Bücher sind nicht immer die beste Lösung für dein Leben. Richtig. Musik, Freunde, Familie, Sport, Kunst und Kreativität sind andere oder weitere Wege. Vielleicht sogar bessere. Aber als Autorin glaube ich an die Kraft der Literatur.

Let’s dream.

xoxo

Katrin

33 Frauen

33 Frauen #2 Rosemarie Trockel

9. Juli 2020

Rosemarie Trockel

Rosemarie Trockel 2010 © Curtis Andrerson

Die zweite Frau, die mich als Frau/Mutter/und Künstlerin (mehr über mein Projekt), enorm beeinflusst hat, ist Rosemarie Trockel – eine Künstlerin.

Die erste Arbeit, die ich von ihr in den 80er Jahren gesehen habe, war nicht etwa eine ihrer Strickarbeiten, für die sie sehr bekannt ist, sondern ein Wandobjekt. Kochplatten – schwarz – eingebettet in eine emaillierte Holzplatte, an die Wand gehängt. Wow.

Da war sie. Kunst von einer Frau, die ganz offen und ohne Männern nachzueifern, ein Frauenthema zum Thema ihrer Arbeiten machte. Keine Hausfrau, eine Künstlerin. Erfolgreich. Und trotzdem mit Blick auf den Ort, wo man die Frau traditionell immer noch sieht. Am Herd. Da hat sich bis heute viel geändert, aber immer noch nicht genug, wie  die sich in der Corona-Krise gezeigt hat.

Die Kochplatten-Arbeiten hat Trockel in Variationen bis in die Neunziger wiederholt. Mal waren es weiße Skulpturen (auch mit Platten an den Seiten), mal Wandobjekte. Keine einzelne Arbeit, sondern ein wiederholtes Statement.

Rosemarie Trockel Ohne Titel 1991

So könnte Kunst aussehen, die mich interessiert, dachte ich damals, weil sie das Thema Frausein direkt adressierte. Ich kannte bis zu diesem Zeitpunkt nur Kunst von Frauen, die versuchten, Männern nachzueifern oder sich stark biografisch an ihrem Selbstbild abarbeiteten. Als Frau, als Mutter.

Gute Kunst von Frauen wurde gerne mit dem Zusatz: Könnte auch von einem Mann sein – geadelt. Kochplatten an der Wand – konnten nicht von einem Mann sein und das gefiel mir. Genau das wollte ich machen. Nicht nur mich als Frau in den Fokus meiner Arbeit stellen, sondern das Frausein in der Gesellschaft reflektierend künstlerisch bearbeiten.

Und da hingen sie nun, zwei Kochplatten, minimalistisch, schwarz-weiß, reduziert, eine schlichte moderne Skulptur, eine Provokation. Yay!

Strickbilder

Als Kind habe ich leidenschaftlich gebastelt und jeden erreichbaren Bastelkurs besucht. Die 70er waren sowieso eine Bastel-Aera: Stricken, häkeln, weben, flechten, Emaillearbeiten, FIMO zu Aschenbechern kneten, Töpfern, Glasbilder aus Perlen, die man im Ofen (toxisch, wie mir gerade klar wird) zusammenschmolz. Die Do-it-yourself-Bewegung in ihren Anfängen. Hobby-Kunst?

© VG Bild-Kunst, Bonn 2014; Foto © ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Foto: ONUK

Rosemarie Trockel gestrickte Bilder 2005 auf der Art Cologne

Die in diesen Hobbykursen verwendeten Materialien waren nichts für “echte” Künstler*innen. Really? Ich sah das anders. Bloß, weil mit diesen Materialien hauptsächlich in Hobbykursen gearbeitet wurde, waren sie für mich nicht wertlos. Im Gegenteil. Und nun kam Rosemarie und zeigte mir: Yes, ich bin bei dir. Wir stellen diese ganze selbstgefällige Männerkunst auf den Kopf. Offen feministisch. In der Kunstwelt der 80er Jahre. Feministisch an einer Stelle, an der Weiblichkeit definitiv noch nicht angekommen war und vielleicht auch noch nicht angekommen ist.

Rosemarie Trockel Umtitelt 1985/88

Rosemarie Trockel verwendet Wolle und Stricktechniken und baut Haushaltsgegenstände in ihre Installationen ein. Sie hat an der Strickmaschine hergestellte Wandbilder mit provokanten Strickmustern wie dem Playboy-Bunny ausgestellt. Da ging es nicht nur um den Widerspruch von großem künstlerischen Wandbild und harmlosen Material. Sondern auch um den inhaltlichen Widerspruch von bravem Stricken – zu provokantem Inhalt. Das Trockel-Strickbild – ist Politik und Gesellschaftskritik, gebrochen/gesteigert durch den Gebrauch von scheinbar harmlosen Materialien und Techniken.

Frauenbewegung – die zweite Welle

Die Frauenbewegung der 60er und 70er Jahre wird auch die zweite Welle der Frauenbewegung genannt.

Der Auslöser der zweiten Welle der Frauenbewegung war ein allgemeiner gesellschaftlicher Umbruch und Wertewandel nach dem Golden Age of Marriage der 1950er und 1960er Jahre. (Wiki)

Diese Frauenbewegung hat meine Mutter, Tanten und deren Freundinnen beeinflusst und war zum Teil sehr kämpferisch. Es ging um mehr Rechte für Frauen, das Recht auf den eigenen Körper und Abtreibung, aber auch um die eigenen Erfahrungen mit Missbrauch oder/und Vergewaltigung.
Die besonderen Merkmale dieser Frauenbewegung waren, dass sie sich stark an den Protestformen anderer sozialen Bewegungen abarbeitete: Demonstrationen, bürgerlicher Ungehorsam, Kampfansagen, Verweigerung, Bildung von eigenen Organen (wie Frauenhäusern). Historisch wichtig, allerdings waren diese Protestformen weiterhin stark an männlichen orientiert. Die Frau muss um ihre Rechte kämpfen, muss Widerstand leisten, muss laut werden, um gehört zu werden.

Rosemarie Trockel Ohne Titel 1988

Dass dies sehr männlichen Formen des Protests oder der Meinungsäußerung waren, fällt mir im Rückblick überdeutlich auf. Schon als Kind befand ich mich in dem Konflikt, Kleider und hohe Schuhe großartig zu finden, die Inhalte der Frauenbewegung aber ebenso einsichtig und richtig. Ich sah nicht ein, warum die frauenbewegte emanzipierte Frau der 70er unbedingt Jeans und flache Schuhe tragen musste, um ernstgenommen zu werden.

Für die meisten Frauen meiner Kindheit und in meinem Umfeld waren hohe Schuhe und Emanzipation Gegensätze, die Barbiepuppe ein Feindbild. Zu der komme ich später noch, doch diesen Widerspruch fand ich ungerecht. Wir Frauen müssen uns wie Männer benehmen, um als Frauen ernstgenommen zu werden? Was ist mit unseren Qualitäten, Bedürfnissen? Ich liebte es, fünfjährig in den Pumps meiner Mutter herumzuspazieren (meine Brüder übrigens auch). Das war Power. Und ganz sicher wollte ich zu diesem Zeitpunkt keinen Mann damit beeindrucken.

Karriere ohne Festlegung

Rosemarie Trockel hat mich auch deshalb so stark inspiriert, weil man sie nach den Herdplatten-Arbeiten und Strickbilder einfach in die Schublade einer feministischen Künstlerin hätte stecken können, wenn sie so weitergemacht hätte. Aber – nope. Ihre ersten Einzelausstellungen in Köln und Bonn hatte sie Anfang der 80er Jahre. Eine Ausstellung, die sie schnell in den internationalen Kunstbetrieb aufsteigen ließ, in dem sie bis heute eine maßgebliche Rolle spielt.

Ich erinnere mich an diese Einzelausstellung, die ich besucht habe, und hier besonders an eine Arbeit auf Papier. Trockel hatte einen Wattebausch auf einen Fotokopierer gelegt (Fotokopierer waren in den 80ern modernste Technik) und auf Papier kopiert. Ich war hingerissen und empört zugleich, eine Reaktion, die für mich immer sehr inspirierend ist. Zu einfach? Frech? Banal? Überbewertet? Ich habe mich für frech oder vielleicht besser: unverschämt entschieden.

Rosemarie Trockel Werk und Kunst verweigert sich der Einordnung. Damit geht sie einen Schritt weiter, ist nicht “nur” weiblich-feministische Künstlerin, sondern vor allem MENSCH. Ich bin ich – geht niemanden so leicht über die Lippen. Dieses Statement kommt allzu leicht arrogant oder selbstgefällig rüber. So sehen viele Feministinnen die Männer und auf keinen Fall sich selbst. Doch das Ichbinich ist wichtig. Nicht das aufgeblasene selbstherrliche Ichbinich, sondern das Erkennen der eigenen Kraft und Fähigkeit, Kreativität und Genialität.

Kunst und Kunstgeschichte

Wer sich mit Kunst beschäftigt, Kunst macht, kommt um Kunstgeschichte nicht herum. Vor allem dann, wenn man sich fragt, warum so viel mehr Männer den Kunstmarkt beherrschen. In den 80/90er Jahren habe ich Kunstgeschichte studiert und mich in einer Zeit vor dem Internet hauptsächlich in der Bibliothek aufgehalten. Biografien von Künstlerinnen waren selten, meist musste man Künstlerinnenschicksale zwischen den Zeilen lesen. Als Anhängsel von Männerbiografien, Muse oder Model. Und natürlich fand man Frauen haufenweise auf Bildern. Aber … nun.

Rosemarie Trockel – a lady at her toilet – Installation von 1991

Die Installation von Rosemarie Trockel von 1991 “a lady at her toilet” ist eine Auseinandersetzung mit einer Zeit der Kunst, in der man Frauen aus dem Kunstbetrieb verwiesen hat, sie aber gerne malerisch “ausbeutete.”

1 Zeltboden, 4 Metallleisten, 2 Metallstangen, 1 Klapphocker aus Holz mit Stoffbespannung, Diaprojektor, 80 Dias, 7 gerahmte Reproduktionen alter Graphiken

Die Frau in der Kunst

Gibt man den Titel der Installation – a lady at her toilet – in die Internetsuche ein, stösst man auf viele, vor allem barocke Gemälde nackter oder wenig bekleideter Frauen von männlichen Malern. Oh ja, das war eine Form der Pornografie, ein Ausstellen von weiblicher Nacktheit zur Freunde der Kunstkäufer. Und wenn der Künstler-Mann es zu Berühmtheit gebracht hat, dann hängen die Bilder heute in einem Museum. Frauen, die sich schön machen, sich herausputzen für die Nacht oder den Tag, für … den Mann. Hier und so finden Frauen ihren Platz auf Gemälden. Nett, oder? Nichts dabei, oder? Wenn man sich in das Zelt von Trockel setzt, kann man diese Bilder betrachten:

“Die Abbildungen unterscheiden sich hinsichtlich der Malweise, der gewählten Ausschnitte und der Entstehungszeit – jedoch zeigen sie immer ähnliche Motive: Leicht bekleidete oder nackte Frauen im Badezimmer, die sich an- oder ausziehen, sich waschen oder baden, ihr Haar kämmen oder sich im Spiegel betrachten. Die Frauen werden allein oder mit einer Dienerin gezeigt. Manchmal ist auch ein Mann in der Rolle eines Voyeurs oder Freiers im Hintergrund erkennbar. Treten die BesucherInnen in den Zeltinnenraum, nehmen sie bei der Betrachtung des Werkes eine ähnliche voyeuristische Perspektive ein.” (ZMK Karlsruhe)

Kunstbetrieb

Rosemarie Trockel verteilt Schläge in alle Richtungen. Provokant, aber niemals verkniffen. Irgendwie ist immer Humor dabei, manchmal sehr trocken und schwarz.

Rosemarie Trockel – Balaklava 1986

Der Kunstbetrieb ist an manchen Stellen eigen und filzig wie viele elitäre Kreise. Das habe ich auch in den 80ern gelernt, als ich ein Praktikum bei meinem Onkel in Köln machte. Willi Bongard (der jünger Bruder meines Vaters), hatte sich zur Aufgabe gemacht, Künstler in ein wirtschaftliches Bewertungssystem zu stecken und es Kunstkompass getauft.

Den Kunstkompass hat er in den 70er Jahren erfunden und anfänglich als kleines Aboblatt betrieben. Das waren sehr gut recherchierte Informationen über Ausstellungen und Auftritte, an denen Künster*innen teilnahmen, sowie eine Nachverfolgung, welche Presse und Preise sie bekamen. Kunstsammler konnten ihre Kunstkäufe mit dieser Hilfe besser einschätzen.

Der Kunstkompass erschien jährlich in verschiedenen Wirtschaftszeitungen und hauptsächlich in der Capital. Nachdem mein Onkel 1985, kurz nach meinem Praktikum, tödlich mit seinem Wagen verunglückte, übernahm seine Lebensgefährtin Linde Rohr-Bongard, eine Journalistin und Künstlerin, den Kunstkompass.

Kunst und Kommerz

Von 2013 bis 2017 wurde das Ranking im Kunstkompass unverändert von Gerhard Richter, Bruce Nauman und Rosemarie Trockel angeführt. Ich bin nicht unbedingt begeistert von der Vorstellung, Künstler wie Sportler in ein Bewertungssystem zu zwängen. Ich hätte – ganz ehrlich – auch nicht gedacht, dass Trockel sich so gut in diesem System schlagen würde. 1986 tauchte sie jedenfalls noch nicht unter den ersten 100 Künstlern des Kunstkompass auf.

Kunst ist Kommerz (so hieß auch ein Buch, das mein Onkel 1967 veröffentlichte). Bei meinem Praktikum hat er mir zudem Einblicke in das Verflechtung von Künstler*innen, Galerist*innen und Kunstmarkt gegeben. Er erzählte mir zum Beispiel, dass Julian Schnabel bei ihm (und überall sonst, wo man sich zu der Zeit bekannt machen konnte) gesessen hätte und gesagt hätte, er würde mal ganz groß werden. Nun, da hat er wohl recht gehabt. Könnte man sich an dieser Stelle eine Frau vorstellen? Wohl eher nicht.

Dass Männer ihre Künstlerkarriere aggressiv und machohaft betreiben, unterstrich mein Onkel und schockte mich zudem mit Geschichten, wer sich im Kunstbetrieb alles hochgeschlafen hatte. Ich war eine Künstlerin in den Anfängen und fragte mich, besonders, nachdem er verunglückte, ob das eine sehr negative oder eher eine realistische Sicht auf den Kunstbetrieb sei. Damals war seine Sicht für mich hauptsächlich verstörend. Ebenso wie sein mysteriöser Tod. Auf freier Strecke von der Straße abgekommen und an einen Baum gefahren – aber das ist eine andere Geschichte.

Documenta

Wie sehe ich den Kunstbetrieb? Warum tue ich mich so schwer mit den Mechanismen der Macht in diesem Bereich? Auch bei dieser Frage half mir Trockel viele Jahre später mit einem Kunstwerk. Als mittlerweile sehr erfolgreiche Frau im Kunstbetrieb, nahm sie 1997 an der Documenta X teil.

 

Zusammen mit dem Künstler Carsten Höller war ihr Beitrag zur Documenta das “Haus für Schweine und Menschen” im Teepavillon.

“Der Teil für die Menschen war ausgesprochen karg gehalten, noch dazu fensterlos und entsprechend düster. Innen lagen auf einer zur Rückwand hin ansteigenden Schräge Matten für die Besucher. Dort ausgestreckt schaute man auf eine große Glasfront und durch sie hindurch in den Hausteil, den die Schweine bewohnten. Die trennende Glasscheibe war einseitig verspiegelt, so wie man das von Scheiben kennt, die Polizisten bei Gegenüberstellungen verwenden: Die Menschen konnten die Schweine sehen, die Schweine jedoch die Menschen nicht.

Nichts anderes als das sah man auch: Schweine, die sich allein und unbeobachtet wohl fühlten. Säue und Ferkel, die fraßen, schliefen, spielten, vom überdachten Stallteil in einen kleinen Garten und wieder zurück liefen, die zu geregelten Zeiten gefüttert und gepflegt wurden. Die Zuschauer wurden Zeugen eines weitgehend harmonischen, wenig spektakulären, dafür fröhlichen Schweinelebens. Kurz: Glücklichere Schweine als diese berühmt gewordenen Kunstschweine sieht man in Deutschland wohl selten.” (Dieter Schwerdtle in der Zeit)

Tiere spielen immer wieder eine Rolle in Trockel Werk. 1993 veröffentlichte sie ein Buch mit dem Titel: „Jedes Tier ist eine Künstlerin“. Eine ironische Anspielung auf die Aussage von Josef Beuys: „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Dass Beuys Tiere und Frauen  – unachtsam – ausschloss, machte sie sichtbar.

Dritte Welle des Feminismus

Das “Haus für Schweine und Menschen” hat viele Ebenen, wurde von den Künstlern auf einer Homepage später ausführlich erläutert und hat trotzdem enorme Kritik von Besuchern erfahren. Kein Wunder. Ist das Kunst?, fragen sich Menschen, die die Kunst sehr wohl akzeptieren können, wenn sie sich so benimmt wie Kunst sich benehmen soll: Verortbar. Ästhetisch. Verständlich.

Rosemarie Trockel, Cluster III – Death, so adjustable, 2015

Wir Frauen kennen das Problem, oder? Wir dürfen überall mitmachen, wenn wir uns an die Spielregeln halten. Also? Vielleicht der Grund, warum so viele Frauen heute glauben, wir brauchen den Feminismus nicht mehr.

Wir befinden uns mittlerweile historisch in der dritten Welle des Feminismus. Das Internet spielt dabei eine maßgebliche Rolle. Für die globale Vernetzung und den Austausch von Inhalten und Erfahrungen. Die Fragen bleiben dieselben: Wer bin ich? Wie vertrete ich meine Ansichten, meine Rechte, meine Wünsche und meine Freiheit. 

Männerwelten

Muss ich wie ein Mann handeln, denken, arbeiten, um in einer von Männern dominierter Welt ernst genommen zur werden?  Männerwelten

Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf haben in ihrer Show “Joko & Klaas gegen ProSieben” ihren Sender  geschlagen und 15 Minuten Live-Sendezeit gewonnen. Auf den Wunsch der beiden Entertainer führte die Autorin und Journalistin Sophie Passmann durch die fingierte Kunstausstellung “Männerwelten”. Thematisiert wurden sexuelle Übergriffe gegen Frauen und Sexismus, den Frauen in ihrem Alltag erleben. (Wer sind Joko und Klaas?)

Rosemarie Trockel: Ohne Titel (Frau ohne Unterleib), 1988

Aha, zwei Männer äußern sich zu Sexismus. Ach, nein, das lassen sie Sophie Passmann machen, die einen langen Rock und flache Schuhe trägt und sich benimmt, als wäre sie eine Ausstellungsführerin. Wie schlau, dass sie keine hohen Schuhe trägt und keinen tiefen Ausschnitt hat.

Wie schlau von Joko und Klaas, dass sie nur Frauen in diesem Special auftreten lassen, denn wer bügelt die Fehler der Männer besser aus als Frauen? Genau. Wie interessant. Joko und Klaas reden in diesen 15 Minuten auch nicht darüber, dass sie in einer Gameshow einer Hostess an den Hintern gefasst haben, sie zeigen auf alle Männer und irgendwie vielleicht auch auf sich selbst.

Es fällt mir schwer davon abzusehen, dass sich hier ganz nebenbei über Kunst und den Ausstellungsbetrieb lustig gemacht wurde, als gäbe es keine Künstler*innen, die sich ernsthaft mit dem Thema Feminismus auseinandersetzen. Als wäre Kunst nur ein Joke.

Heute

Letzte Woche war ich im Hamburger Bahnhof bei einer Einzelausstellung von Katharina Grosse. Eine riesige bunte Farbskulptur, die sich klar im Jetzt verortet. 3D Architektur, 3D Printing. Viel Farbe auf Flächen, auch auf dem Boden, auch im Aussenbereich, der vorher speziell behandelt wurde. Jetzt sind alle Flächen abwaschbar (so werden Gebäude vor  Graffitis geschützt). Aha. Sprayen muss also gar nicht aggressiv sein, alles ist abwaschbar. Da freut man sich? Irgendwie nicht, denn was ist Kunst dann überhaupt? Abwaschbar? Davon abgesehen: No risk – no fun.

Katarina Grosse. “It Wasn’t Us” 2020 Hamburger Bahnhof Berlin

Okay. Groß, laut, ein Spektakel. Nicht meins, aber so ist das eben manchmal mit Kunst. Ich denke nicht: Immerhin von einer Frau. Oder: Cool – von einer Frau. Ich denke: Gefällt es mir? Spricht es mich an? Wie viele Ebenen meiner Existenz, der Gesellschaft und Welt werden durch dieses Kunstwerk in Schwingung gebracht? Passen Form und Inhalt/Botschaft? Verstärkern sie sich? Rechtfertigt die “Botschaft”, das Erlebnis den Aufwand? Den Einsatz von Material und Farbe? Und Manpower

Ich mag bunt. Die Bemalung im Aussenbereich hält leider dem Vergleich mit jeder talentierten, innovativen Sprayer*in nicht stand.

Rundgang

Anschließend gehe ich durch die ständige Ausstellung des Hamburger Bahnhofs. Ein Rundgang. Und da liegen sie. Unspektakulär auf dem Betonboden. Die Gewohnheitstiere von Rosemarie Trockel.

Rosemarie Trockel – Gewohnheitstiere 1996

Beschissen ausgeleuchtet. Sorry. Aber eine Arbeit, die mich sofort wieder und sehr viel mehr berührt, als das Farbspektakel in der Haupthalle. Ich bin wohl immer noch ein Trockel-Fan. Aber nicht, weil ich am Alten festhalte, ein Gewohnheitstier bin, sondern ganz im Gegenteil. Ich mag, wenn Dinge und Ansichten auf den Kopf gestellt werden. Dafür ist Kunst da. Und weil ihre liegenden Tiere immer noch aktuell sind. Uneindeutig. Tod oder lebendig? Haustiere oder wild? Getötet oder gestorben?

Wenn ich an Rosemarie Trockel denke, dann denke ich immer wieder gerne #unverschämt.

Podcast

Es gibt eine Podcastreihe zu den 33Frauen auf dem Literatur Radio Hörbahn. Jeder Blogbeitrag wird um einen Podcast ergänzt. Den Podcast zu diesem Beitrag findest du hier.

33 Frauen Female

33 Frauen #1 Ilse-Charlotte Kaufmann

28. Mai 2020
Ilse-Charlotte Kaufmann

Ilse-Charlotte Kaufmann

Die Blogreihe #33Frauen (mehr dazu) handelt von 33 Frauen, die mich in der Frage wie man Kunst, Kinder, Karriere und eine gute Beziehung harmonisch und glücklich in sein Leben integrieren kann, inspiriert haben. Und ich beginne – mit meiner Mutter, Ilse-Charlotte Kaufmann.

Ich bin ein wenig aufgeregt, da mir klar geworden ist, dass ich vor dieser Blogreihe noch nie so offen, persönlich und öffentlich über mich oder meine Einstellung zum Leben, zu Kunst, Politik und Gesellschaft gesprochen habe. Aber – darum geht es wohl in dieser Blogreihe und ganz allgemein beim Schreiben. Und, dass ich mit meiner Mutter beginne, macht es nicht unbedingt leichter.

Ille

Meine Mutter hat den Namen meines Vaters angenommen, hieß also Bongard. Doch sie wurde von allen nie Ilse-Charlotte, sondern immer nur Ille genannt. Ich will hier trotzdem mit ihrem vollständigen Vornamen und ihrem Geburtsnamen über sie reden, da er für mich die größere Einheit ist. Der Name, der ihr Leben vor der Ehe einschließt. Die jüdischen Wurzeln, ihren künstlerisch begabten Vater.

Ich dachte eigentlich, dass ich diesen Beitrag am besten am Muttertag herausbringe, doch meine Mutter war kein großer Fan des Muttertags. Wahrscheinlich hat sie ihn gehasst. Und damit ist schon viel über sie gesagt. Sie hatte eindeutige Meinungen zu Menschen, Politik, Kunst und Kultur. Und auch zu Institutionen oder Traditionen.

Ich habe mich als Kind oft gewundert, wenn andere (Ehe-)frauen/Mütter keine Meinung hatten. Da kenne ich mich nicht aus. // Da weiß ich nicht Bescheid. //Dazu habe ich keine Meinung. So etwas gab es bei uns nicht und das lag an meiner Mutter. Sie hatte eine Meinung. Überhaupt habe ich erst beim Scheiben dieses Blogbeitrags bemerkt, in wie vielen Aspekten ich von ihr beeinflusst worden bin und was sie mir alles – ganz unauffällig – beigebracht hat.

Die Mutter

Ich will gleich vorweg sagen, dass meine Mutter und ich uns gut verstanden haben, aber auch übelste Auseinandersetzungen hatten. Dies hier ist also keine Hymne auf meine Mutter, sondern das Ergebnis vieler Kämpfe.

Bei einem Streit hat sie mich einmal als Monster bezeichnet und ich würde sagen, sie hat sehr recht gehabt. Wenn ich um mein Selbstwertgefühl, meine Unabhängigkeit und Freiheit kämpfe, werde ich monströs. Sie war da anders. Zarter, weicher, unsicherer. Und gerade damit hat sie mich zu einer Kämpferin gemacht. An ihr musste ich mich abarbeiten. Doch neben diesen Kämpfen und Auseinandersetzungen gab es auch Bereiche, in denen sie mich gar nicht beeinflussen wollte. Das fand ich am spannendsten. Wenn sie etwas gemacht hat, das ich nur beobachtet habe und so lernen konnte. Das war ganz besonders in diesen drei Bereichen der Fall:

  • Literatur
  • Musik
  • Beziehung & Muttersein
Literatur & Lesen

Meine Mutter hat viel gelesen. Vor allem Literatur. Viel Literatur. Keine Schmöker, die kamen überhaupt nicht vor. Aber auch Sach- und Fach- und wissenschaftliche Bücher.

Schreiben war für sie Kunst, und Lesen hieß, Kunst zu wertschätzen. Mit Respekt für eine gute Sprache, für intelligente Gedanken, für tiefgehende Emotionen, für Offenheit und eine Stellungnahme in der Welt. Lesen hieß zu wachsen. Von ihr habe ich gelernt: Ein gutes Buch ist ein Kunstwerk. Die Autor*ìn muss ihr Handwerk beherrschen, doch sie ist hauptsächlich Künstler*in und damit auch erste künstlerische Instanz für ihr Werk..  Ändere bitte dies – weil es sich besser verkauft//uns nicht gefällt//wir es nicht mögen – war für sie undenkbar. Zu einem guten Buch gehört eine Autor*in mit einem starken Rückgrat und einer klaren künstlerischen Vision.

Und das habe ich nicht nur bewundert, sondern sofort verstanden. Wenn die Künstler*in nicht den Mut und die Kraft hat, für ihre Ideen einzustehen – wer dann?

Meine Mutter ist auch diejenige gewesen, die mit mir zur Bibliothek gegangen ist, um mir meinen ersten Bibliotheksausweis ausstellen zu lassen. In die heiligen Hallen. Sie hat mich zur Vielleserin gemacht hat – drei Bücher am Tag.

Durch meiner Mutter habe ich gesehen, dass mit und durch Bücher alles möglich ist. Dass man sich mit dem Wissen und den Erkenntnissen, die in Büchern stecken, die Welt erobern kann.

Ich habe auch mitbekommen, wie sie mit Mitte 40, verspätet ihr Studium beendet und ihre Doktorarbeit geschrieben hat. Immer umgeben von einem Stapel Bücher. Überall Spuren vom Thema. In, durch und mit Büchern kann man alles erreichen. Damit war meine Mutter besser ausgebildet als mein Vater, der seine Doktorarbeit nie beendet hat. Allerdings ist er Professor geworden und sie blieb nur Dozentin. Auch das eine interessante Beobachtung.

Schreiben

Ilse Charlotte-KaufmannEtwas später wurde mir klar, dass meine Mutter nicht nur viel gelesen, sondern auch einmal selbst geschrieben hat. Ich weiß nicht, wann sie mir ihre Gedichte gezeigt hat. Huschig, eigentlich fast im Vorübergehen und mir wurde klar: Es gab ein Leben vor mir. In einer kleinen Studentenbude mit einer Kofferschreibmaschine und der Ambition, irgendwann mal einen Roman zu schreiben.

Und es gab dieses kleine Büchlein mit dem Schloss, das ich jetzt geerbt habe, mit ihren Gedichten. Okay, die kann man also selbst machen. Wie Marmelade einkochen und Pullover stricken. Wie Fahrradreifen flicken und Glühbirnen auswechseln.

Man kann selbst Gedichte schreiben.

Selbst Bücher schreiben. Und das war die größte Ermunterung. Ich wollte nie Schriftstellerin werden. Aber nicht, weil ich es mir nicht zugetraut hätte. Denn der Weg zum Schreiben war immer da, stand immer offen, war möglich.

Oper & Musicals

Alles, was in der Kindheit passiert, nimmt man als normal hin. So ist das eben. Und erst später wird einem klar, dass es anderswo anders ist. Meine Mutter hat Opern geliebt. Regelmäßig wurden Sonntags Opernplatten aufgelegt. Carmen, La Travita, Der Barbier von Sevilla. Oder lyrischer Gesang. Meine Eltern waren beide Musikliebhaber, mein Vater hat Klavier gespielt, mein Mutter fast immer in irgendeinem Chor gesungen. Musik gehörte dazu, doch wurde sie von meiner Mutter besonders zelebriert. Nicht mal eben nebenbei, sondern zur festlichen Stunde. Dann wurde die Platte aufgelegt und zugehört.

Für mich waren Opern gesungene Geschichten. Gesungene Texte auf italienisch oder deutsch. Tragische Geschichten mit großen Emotionen. Vollendeter Gesang. Das war eine erstaunlich andere Seite an meiner Mutter, die doch sonst die Meisterin der Ironie war, einen messerscharfen Verstand hatte und niemals sentimental oder rührselig wurde. Schwarzer Humor, Scharfzüngigkeit. Jane-Austen-like. Manchmal provokant. Aber da gab es eben dieses verletzliche Innenleben, das sich in Musik ausdrückte.

Als meine Mutter und ich einmal zusammen das Musical West Side Story im Fernsehen gesehen haben, war ich vielleicht neun. Und meine Mutter hat geweint. Damals habe ich nicht verstanden, was einen an dieser Geschichte so zu Tränen rühren kann. Aber es hat mich tief beeindruckt, dass ein Musical so tiefe Gefühle bei meiner Mutter, die ich überhaupt nur zwei oder dreimal in meinem Leben habe weinen sehen, auslösen konnte.

Dass Emotionen in Geschichten gehören, sogar unbedingt dazugehören, war nichts, was man mir in der Schule beigebracht hat. Da ging es um Kafka und Sprache und Form. Wie wichtig Emotionen für Geschichten sind, habe ich durch meine Mutter gelernt.

Beziehung, Ehe und Arbeit

Die Beziehung meiner Eltern war gut. Manchmal sehr gut, göttlich, dann auch wieder zerfleischend. Sie haben sich sehr geliebt, Liebe auf den ersten Blick, in Göttingen im Vorlesungsaal, dazu eine starke körperliche Anziehung, ein Sturm. Meine Eltern waren Gegensätze und die Beziehung ein wilder Mix.

Es gab ein intellektuelles Gleichgewicht, doch obwohl meine Eltern geistig und intellektuell ebenbürtig waren, gab es keine Gleichberechtigung. Und das lag weniger an meinem Vater (obwohl der auch ein Macho sein konnte), als an der Gesellschaft, der Situation in den 60er Jahren, an der Struktur von Ehe- und Familienleben.

“Kinder kriegen” war ein Job, den die Frau am besten nebenher erledigte. Unbezahlt, versteht sich. (Erziehungsgeld war damals noch kein Thema und Kindergeld ein Witz). Und wenn die Frau gleichzeitig Karriere machen wollte … dann hatte sie eben zwei Jobs und musste sehen, wie sie das hinkriegte. Mein Vater war Professor, für seine Arbeit zahlte der Staat. Für ihn war es sein Geld, auch wenn er es natürlich in die Ehe gegeben hat. Doch bei einer Scheidung (und davon gab es viel im Umfeld)  … hätte er normal weiter verdient und meine Mutter beruflich bei Null starten müssen. Darüber haben wir oft geredet.

Die gesellschaftliche Ungleichbehandlung von Arbeit für die Gesellschaft in einem Job und Arbeit für die Gesellschaft = Kinder bekommen, war ein Problem, das die Ehe meiner Eltern sehr belastet hat.

Meine Mutter war viel zu schlau, das Hausmütterchen zu spielen und auch viel zu lässig. Mein Vater – gelegentlich sehr akribisch – hätte die Küche mit dem Q-Tip geputzt und in unserer Familie stand alles auf Alarm, wenn er “den Keller aufräumen” ging.  Vielleicht wäre er der bessere Hausmann gewesen, aber der Switch hat bei beiden nie funktioniert.

Es war genial, eine solche Beziehung aus nächster Nähe zu studieren. Okay, als Kind studiert man seine Eltern nicht, man wird hin- und hergerockt. Stellt Fragen, versteht Dinge nicht, wundert sich, ist verwirrt. Und oft stand ich auch genau in der Mitte. “Heirate nie!”// Männer sind … was auch immer. // Deine Mutter macht ihren Job nicht. Ich verdiene das Geld und siewas auch immer.

Meine Mutter hat eigenes Geld verdient, trotz der vier Kindern und einem Haushalt, der ohne männliche Beteiligung bewältigt werden musste. Um vieles hat sie nicht gekämpft, das lag ihr überhaupt nicht. Sie ist aber in eine Frauengruppe gegangen und hat auf ein eigenes Konto bestanden.

Was ich aus all diesen Beobachtungen und Diskussionen gelernt habe: Du musst als Frau unbedingt selbstständig sein. Du musst weiter an deiner Ausbildung arbeiten, auch in der Beziehung/Ehe, auch mit Kindern. Und du brauchst dein eigenes Geld.

Muttersein

Muttertag: Danke, Mama, dass du all das für uns tust! Und nie an dich denkst.

Fuck! Muttertag. Okay, so hätte meine Mutter das nie gesagt. Aber hinter ihrer Stirn, angesichts des Szenarios: Die Kinder übernehmen am Muttertag (gezwungen von deinem Mann) das Frühstück – konnte man es sehen. Muttertag. Bullshit.

Sie hätte gesagt: Ich verzichte auf den Blumenstrauß und die schönen Worte, ich will einen Mann, der kapiert, dass Kinder haben auch sein Job ist. Und, nein, Geld verdienen ist nur ein sehr kleiner Teil davon. Ich will einen Staat, der kapiert, dass es mit Kinder- oder sogar Erziehungsgeld nicht getan ist. Weil man keine mündigen und intelligenten und liebevollen Staatsbürger heranziehen kann, wenn man auf dem Zahnfleisch läuft. Vier Kinder, die ersten drei innerhalb von vier Jahren (auf dem Bild die ersten drei).

Die (Über-)anstrengung meiner Mutter als Mutter in diesem Job, der ja im Grunde gänzlich von der Anerkennung des Partners abhängt und in der Regel in der Pubertät auch noch von den Kindern belächelt wird, habe ich sehr genau registriert. Feminismus passierte für mich dort. Vorort. Nicht in irgendwelchen Seminaren oder Panels, wo Feministinnen Vorträge hielten. Oder halten. Nicht in theoretischen Diskussionen, die vielleicht auch wichtig sind, aber sehr oft an der Realität vorbeigehen. Ich lernte: Hier muss sich etwas ändern. Auch die Frauen selbst, die sich ihrer Macht und Stärke bewusst werden müssen.

Meine Mutter

Meine Mutter war als Mutter: Genial. Das habe ich erst später begriffen. Vorher habe ich die liebevolle gemachten Pausenbrote vermisst. Die herzige Umarmung, wenn ich zur Schule ging, das Dauerlächeln, die Nettigkeit, die anderen Müttern offenbar so leicht fiel.

Erst als diese Familien und Ehen zerbröselten, das größere Bild sichtbar wurde, habe ich begriffen, wie wertvoll ihre Erziehung war. Dass sie mich in Ruhe gelassen hat, mich niemals bewertet, herausgeputzt oder bemuttert hat. Und mich schon gar nix ht heruntergeputzt hat. Dafür hat sie mir etwas sehr Wichtigeres mitgegeben:

Sei so, wie du bist. Bleib so, wie du bist. Kümmere dich nicht um die Menschen, die dich auf Grund von Angst maßregeln oder zurechtweisen wollen. Geh deinen Weg. Mach dein Ding.

Ilse-Charlotte Kaufmann Mutter

#lebendig

Auch, wenn meine Mutter immer gesagt hat, sie hätte nie richtig gelernt, glücklich zu sein, konnte sie leben. Genießen. Gutes Essen und Wein. Mit Käse. Und Reisen und Kunst, Theater, Konzerte. Diskussionen und Gespräche und Bewegung.

Und wenn ich an sie denke, dann denke ich: #lebendig.

Podcast

Es gibt eine Podcastreihe zu den 33Frauen auf dem Literatur Radio Hörbahn. Jeder Blogbeitrag wird um einen Podcast ergänzt. Den Podcast zu diesem Beitrag findest du hier.

IPodcastlse-Charlotte Kaufmann

33 Frauen

33 Frauen #Prolog

14. April 2020
33 Frauen

33 Frauen ist mein Blog-Projekt für 2020 und ich beginne einmal mit einem Prolog, also einem ersten Blogbeitrag mit einer kleinen Vorrede.

Warum 33 Frauen (#33frauen)? Nun das Projekt begann eigentlich schon vor längerer Zeit in meinem Studium (Kunstgeschichte, Theologie und Judaistik). Ich habe das Studium nicht sofort nach der Schule begonnen, sondern erst nachdem ich mich für die Kunst entschieden hatte.

Kunst war Praxis und aufregend, genau wie mein Leben damals. Auch, weil ich zu dieser Zeit mit vielen Menschen zusammengelebt habe, in WGs und Lofts und mit am Ende mit fünf anderen Künstlern (tatsächlich nur Männern) in einem Atelier gearbeitet habe. Ein Studium ist ruhiger und das brauchte ich nach diesem Lebensabschnitt.

Mir fehlte auch die intellektuelle Auseinandersetzung, das Lernen. Ich liebe es zu wachsen und zudem war das Studium die perfekte Möglichkeit, mein Leben ein wenig zu entschleunigen.

Ich habe aus dieser Zeit sehr viel mitgenommen, vor allem theoretisches Wissen. Ich studierte mit Leidenschaft, ich saß auch in den Semesterferien in der Bibliothek und nutzte mein Studium für ein Seitenforschungsprojekt. Ich fragte mich: Wie ist es möglich, als Künstlerin mit Kindern in einer guten Beziehung zu leben und dabei noch finanziell unabhängig zu sein? Wie geht das? Wer hat das schon geschafft?

Kunst & Kinder

Ich habe in dieser Zeit jede Künstlerinnen-Biografie gelesen und alles, was ich über die Heldinnen der modernen Kunst, Schriftstellerinnen und Wissenschaftlerinnen finden konnte. Wie haben die das gemacht? Hinbekommen? Wie haben sie Job und Leidenschaft und Kunst und Familie unter einen Hut gebracht. (Hut? Hm …)

Es gab sehr verschiedene Lebenswege, aber schnell zeichnete sich ab, dass die erfolgreichen Künstlerinnen eher keine oder nur ein Kind hatten (manchmal lebte es beim Vater). Die, die es trotzdem anders versucht haben, mussten irgendwann etwas aufgeben – manchmal sogar ihr Leben.

Ich fand heraus, dass es sehr viele Künstlerbeziehungen gab und gibt, in denen der Mann sehr berühmt war/ist (z.B. Rodin) und die Frau als die Muse angesehen wurde/wird, obwohl  sie eine mindestens ebenso talentierte Künstlerin war/ist. Das war schmerzhaft und lehrreich und eine gute Vorbereitung für mein späteres Leben.

*Zu diesem Zeitpunkt lebte ich in einer sehr freiwilligen Fernbeziehung  zu meinem späteren Partner.

Arbeit & Familie

Kunst und Familie zusammen zu leben, war offensichtlich schwierig. Aber wie sah (und sieht) es mit Kunst=Arbeit und Familie aus? An vielen Stellen meines Lebens musste ich zwischen Kunst und Arbeit/Familie entscheiden und das war schmerzhaft und manchmal auch ungerecht.

Als ich das erste mal schwanger wurde, wollte ich giftige Substanzen (Farben) im Atelier meiden und auch nicht so schwer tragen. Ganz allgemein fehlt mir auch der Antrieb, mich oder etwas von mir zu zeigen. Ein dicker Bauch macht sich auch bei einer Vernissage nicht so wirklich gut. Das meine ich nicht optisch oder modisch, sondern weil nach draußen gehen und ein Nest bauen zwei sehr unterschiedliche Dynamiken sind.

Je mehr ich forschte, desto klarer wurde mir, dass mein Wunsch, Kinder, Karriere und Kunst zusammen hinzubekommen, sehr fordernd werden würde.

Das hängt ganz oft auch mit der Arbeit zusammen, wie wir sie definieren und wie wir glauben, Geld verdienen zu müssen. Manchmal wird Arbeit von alten Vorstellungen dominiert, dabei könnte sie anders sein. Wir erwarten immer noch, dass Menschen an ihrem Arbeitsplatz bleiben, statt zu Hause sein zu dürfen und von dort zu arbeiten. In Zeiten von Internet und Skype sollte das eigentlich selbstverständlich sein. Vieles würde dadurch einfacher und – reden wir Umweltschutz – die Autos müssten auch nicht ständig bewegt werden. Aber das ist dann schon wieder ein anderes Thema.

33 Frauen

33 Frauen Frida_Kahlo,_by_Guillermo_KahloImmer wieder gab es Zeiten, in denen ich nicht wusste, wie ich das alles hinkriegen soll. Und immer gab es Frauen, die mir mit ihrem Leben gezeigt haben, dass es doch gehen kann. Selten in allen Aspekten gleichzeitig. Und sehr oft musste ich mir über den Preis klar werden, den eine Frau für ihr Leben zahlt.

Frida Kahlos Leben zum Beispiel. Mit 18 von einem Bus verletzt und ihr Leben lang mit Schmerzen lebend, nicht mehr in der Lage Kinder zu bekommen, zweimal mit dem gleichen Mann verheiratet, unter dessen Untreue sie litt, dem sie aber auch selbst untreu wurde, Anhängerin von Stalin …

Frida Kahl findet man in jedem Rebel-Girl Buch als schillerndes Vorbild – aber will ich das? Nein. Egal wie berühmt ihre Kunst jetzt sein mag. Für mich lohnt es sich immer, genauer hinzusehen, wenn es um weibliche Vorbilder geht.

Und natürlich – Was für mich gilt, muss für niemanden anderen gelten. Daher verstehe ich meine Auswahl an Vorbild-Frauen als extrem subjektiv.

Zum Schluss: Haben mich auch Männer beeinflusst? Aber ja! Aber nicht unbedingt in Fragen von Schwangerschaft und Kinderkriegen, in Vereinbaren von Haushalt, Arbeit und Kindern oder im Leben von Beziehungen zu Männern. Frauenthemen? Genau.

Lass dir nie von einem Mann sagen, wie du als Frau zu leben hast.

Bis bald

Katrin